Identität

Ein letzter Text von Barbara. Ihre Offenheit ist ein kostbares Geschenk.


 

Identität

Einst, als junge Frau, wurde ich umworben, gewollt und auserwählt. Es war wunderschön, das zu erleben.
Als die Ehe dann zu Bruch ging, fühlte ich mich wie ein alter Lappen in die Ecke geworfen: ausgedient, uninteressant, kein Bedarf mehr. Was für eine Diskrepanz!
Mit diesem Schmerz konnte ich nicht gut umgehen. Die Demütigung, das öffentliche Mich- blossgestellt – Fühlen nagte lange an mir.
Wie überlebenswichtig und lieb wurden mir Bibelstellen, wie die aus Psalm 3: Aber du, o Herr, bist ein Schild für mich, meine Ehre und der mein Haupt erhebt.
Gott gibt mir meine Würde zurück; er erhebt mein Haupt. Was für ein Trost!
Wenn ich heute eine positive Rückmeldung über mein Aussehen oder meine Ausstrahlung bekomme, dann freut mich das ehrlich: Wenn dem so ist, dann ist das nicht mehr das gute Aussehen aufgrund eines privilegierten, behüteten Lebens, sondern ein Zeugnis dafür, dass Gottes Wort verlässlich bleibt durch allen Schmerz hindurch. Ich wurde getragen, gehalten, habe überlebt und mehr als das: Ich gehe meinen Weg mit erhobenem Haupt; nicht hart und stolz, sondern dankbar, weil ich weiss: Meine Ehre ist bei Gott. Er weiss, wie ich’s meine. Das reicht. Gott sei Dank!

– Barbara

Zu lohnenden Zielen gibt es keine Abkürzungen

Barbara greift in diesem Text etwas auf, womit wir als Getrennte oft konfrontiert werden. „Es kommt schon gut!“ hört man – und die Frommen sagen „bei Gott ist alles möglich“ – und mit „gut“ oder einem „Wunder“ meint man die heile Familie, so wie sie vorher war und wie sich das alle vorstellen. Nur, vielleicht ist das Ziel gar nicht die „heile Ehe“, sondern der heile Mensch? Vielleicht besteht das Wunder darin, innerlich heil zu werden, auch wenn äusserlich alles auseinander fällt und zerbricht.


Zu lohnenden Zielen gibt es keine Abkürzungen

Diesen Spruch heftete ich an den Kühlschrank, irgendwann am Anfang der Trennungszeit.
Das „lohnende Ziel“ bedeutete für mich: zurück zur heilen Familie. Ich war bereit, mich dem Schmerz, der Unzulänglichkeit und dem Versagen zu stellen, wollte nicht verdrängen und auf keinen Fall bitter werden, sondern unbedingt den Weg der Vergebung finden – damit es wieder gut werden könnte. Ich war bereit dazu, auch wenn es ein langer Weg ohne Abkürzungen werden würde.

Unterwegs wurde ich etappenweise herausgefordert: Bin ich auch bereit zu vergeben, wenn wir nicht wieder zur heilen Familie werden und ich möglicherweise nie „rehabilitiert“ werde? Bin ich bereit, loszulassen und frei zu geben, ohne zu sehen, ob ich etwas dafür bekommen werde?

Mit Hilfe von Freunden, Beratung und Gebeten barg ich mich immer wieder bei diesem Jesus, der das alles für mich getragen hat, und sagte: „Ja, ich bin bereit.“

Neun Jahre sind mittlerweile seit der Trennung vergangen. Wir sind nicht mehr zur heilen Familie geworden, sondern heute geschieden und es bleiben durchaus Fragen offen.
Ich habe mich dem Schmerz, der Unzulänglichkeit und dem Versagen gestellt. Obwohl es nicht so kam, wie ich sehnlichst wünschte, kann ich heute sagen: Es ist, wie es ist; und es ist gut so.

Neulich bekam ich von einem Freund die Rückmeldung: „Du hast trotz widerwärtigsten Umständen deinen Humor, deine Kreativität, Phantasie und Liebe zu den Menschen nicht aufgegeben. Du bist nicht in Bitterkeit abgesumpft.“
Was für ein lohnendes Ziel, dachte ich! Auch dazu gab es keine Abkürzungen.

– Barbara

Verzeihen macht stark

Darf ich vorstellen? Barbara, die die Schöne, Begabte und Starke! Da ich in den letzten Wochen über Trennungszeiten schrieb, schickte sie mir einige Texte, die sie dazu verfasst hatte und wow! ihre Texte haben mich umgehauen. Danke, Barbara, dass du dein Herz mit uns teilst.


 Verzeihen macht stark

Diese Worte habe ich damals aus der Zeitung ausgeschnitten, sie aufgeklebt und laminiert. Auch heute noch hänge ich sie immer wieder so auf, dass ich sie von meinem Bett aus gut sehen kann.

Die Psalmen sind voller Worte, die meinen Gefühlszustand treffend beschrieben: „ich bin welk, meine Gebeine sind bestürzt, meine Seele weigerte sich getröstet zu werden…“

Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass der Auslöser dafür, dass solche Worte zu meinen eigenen werden, der Mensch sein könnte mit dem ich mich am tiefsten und intimsten verbunden hatte, an dessen Seite ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Wie unendlich schmerzhaft war es, diesen mir vertrautesten aller Menschen als einen zu erleben, der mir „feind“ wurde durch sein Handeln. Ohne Zuflucht zu Gott zu nehmen, wie der Psalmist das vor seinen Feinden tat, hätte ich seelisch nicht überlebt. Ich war tödlich verwundet.

Das Schlimmste war der Verrat.

Meine Worte und Bilder dazu: “Die offene Wunde in mir ist so gross wie ein Wagenrad. Ich verstumme mit einem lodernden Feuer in mir, möchte mich verkriechen und nie mehr aufstehen. Ich bin lebensmüde…“

Von einem Freund liess ich mir sagen, dass Jesus auch Verrat am Kreuz getragen hat. Er wurde auch verraten – von einem seiner vertrautesten Freunde. Es hat ihn das Leben gekostet. Ich liess mir sagen, dass er mich deshalb versteht und ganz mitfühlen kann. Und, dass ich nicht daran zerbrechen muss, weil er auch den Verrat, den ich erlebt habe, getragen hat.
Ich liess es mir sagen. Ich habe mich immer wieder daran erinnert, es unter Tränen angenommen.

Über die Jahre nahm diese Wahrheit Gestalt an in mir. Ich bin zwar zerbrochen, aber nicht kaputt gegangen. Diese Wahrheit ist die Grundlage, auf der ich verzeihen konnte.

Und Verzeihen macht mich stark – und frei.

Nachtrag: Der Richter sagte, aus Sicht des Gerichtes sei unsere Scheidung eine „Wunschscheidung“: Alles anständig und einvernehmlich geregelt, keine Komplikationen.
So sah das von aussen aus.

– Barbara

Die Frage

„Hat er diese Dummheit machen müssen, nur damit ich daran lerne und wachse? – Ist das die Entschuldigung für sein Verhalten?“

Die Verzweiflung meiner Freundin war gross. Sie war durch das Verhalten ihres Mannes tief verletzt worden und rang mit den vielen Gefühlen, die einem in so einem Moment durchfluten und die man versucht zu sortieren und zu verstehen. Ich wollte helfen, trösten, hatte aber keine spontane Antwort auf ihre Frage, die mich noch jahrelang beschäftigen sollte. (Und überhaupt, was weiss ich schon?)

Der Wortlaut dieser Frage ändert sich je nach Situation immer wieder, aber am Ende stellt sich im Grunde immer die Frage: Müssen wir schlechte Entscheidungen treffen oder müssen andere an uns schuldig werden, bevor wir uns verändern lassen und zu reiferen Persönlichkeiten werden? (Und wo, bitte, ist Gott in all dem drin?)

Die Antwort auf diese Frage ist nein, davon bin ich heute überzeugt. Unsere persönliche Entwicklung hängt nicht vom Verhalten anderer Menschen ab. Die Entschuldigung für ihre schlechten Entscheidungen liegt nicht darin, dass wir dadurch zu besseren Menschen werden.

Wir können jedoch davon profitieren, da wir alle früher oder später in unserem Leben mit Dingen konfrontiert werden, die uns herausfordern über uns selbst hinauszuwachsen – unser Charakter wird geschliffen, wir werden vor die Wahl gestellt, aus unseren Prinzipien und nicht aus verletzten Gefühlen heraus auf Brüskierungen zu reagieren. Dadurch werden wir barmherziger und gnädiger, wir wachsen in die Tiefe, machen Platz für Neues.

Diese Herausforderung kann durch eine Person oder durch Umstände eintreten, die wir nicht kontrollieren können: Naturkatastrophen, menschliches Versagen, Ablehnung oder schlichte Gemeinheit und die Unreife anderer Menschen. Manche von uns kämpfen mit inneren Dämonen, Verprägungen, falsche Denkmuster.

In dieser Frage geht es viel weniger darum wer Schuld ist (mal ehrlich, was habe ich davon, wenn ich das weiss, ausser dass ich noch selbstgerechter werde), sondern viel mehr um meine Reaktion darauf. Ob und wie ich mich diesen Herausforderungen stelle, ist mir selbst überlassen und auch meine alleinige Verantwortung.

Den Schmerz von Verrat oder Verlust zu erleben, wird entweder etwas Positives oder etwas Negatives ins uns hervorbringen – etwas wird es auf jeden Fall hervorbringen und ohne Entscheidung für das Positive wird das Negative schnell die Oberhand gewinnen. Diese Entscheidung ist ganz und gar unabhängig davon wer an der ganzen Misere Schuld ist.

Das scheint nicht immer fair zu sein, aber wer sagt, dass das Leben fair ist? Ist es nicht. Das Leben ist das Leben: unfair, kompliziert, chaotisch, verwirrend, laut und manchmal leise, vergebend, zart, herrlich und wunderschön. Dafür – das Leben in der ganzen Fülle zu erleben – entscheide ich mich jeden Tag neu.

(In diesen Gedanken geht es nicht um unser Verhalten in einer Situation in der wir Missbrauch erleben.)

Nicht allein

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund habe ich manchmal oder sogar recht oft das Gefühl, ich sei allein in dem was ich erlebe.

Niemand ist so allein wie ich.

Niemand fühlt sich so überfordert wie ich.

Niemand fühlt sich so unsicher wie ich.

Niemand ist so verletzt wie ich.

Niemand hat so ein gebrochenes Herz wie ich.

Niemand hat so schlimme Schicksalsschläge erlebt wie ich. (Ja genau, manche sogar noch schlimmere…!)

Dieser Niemand ist ein armer Tropf.

Auch wenn Niemand genau das erlebt hat, was ich erlebt habe und so ein Leben hat wie ich, teilen wir dennoch sehr viele Gefühle und Empfindungen und ja, auch Erlebnisse in den verschiedensten Schattierungen.

Man muss nicht Single, Verwitwet oder Geschieden sein, um Einsamkeit zu kennen. Man muss nicht alleinerziehend sein, um sich überfordert zu fühlen. Man muss nicht entwurzelt sein, um sich unsicher zu fühlen.

Kurz nachdem mein erster Mann, Stefan, gestorben war, wurde mir bewusst, wie viele Frauen auf der Welt diese Trauer, diesen Schmerz des Verlustes kennen. Ich fühlte mich in meiner Situation auf sonderbare Art und Weise mit diesen Frauen verbunden. Ich kenne sie nicht, aber wir kennen denselben Schmerz, dieselbe Trauer, die Bodenlosigkeit, die Verzweiflung, die Suche nach einem neuen Leben und Sinn. Es hat mich getröstet, zu wissen, dass es ganz viele Frauen gibt, die mich verstehen und genau wissen, was ich durchmache. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so allein.

Ich bin nicht allein.

Wir sind nicht allein.

Und ausserdem… aber das spar ich mir für später auf, zuerst geniessen wir jetzt nämlich unsere Ferien.