Ach, wie schön!

Ich joggte mal wieder um den See. Ich wollte eigentlich gar nicht um den See joggen, sondern nur bis zum See, aber als ich hinkam, fand ich es so schön, dass ich dann doch um ihn herum joggte. Meine ersten Worte, als ich zum See kam, waren: „Ach, wie schön!“ Dazu muss ich euch erklären, wie dieser See aussieht. Es ist ein künstlich angelegter See. Das heisst, es ist ein sehr langgezogenes Rechteck. Er ist nicht besonders gross, aber doch speziell, weil auf der einen Seite ein Sandstrand angelegt wurde und auf der anderen Seite Schilf wächst. Es hat viele Enten, ab und zu einen Schwan oder zwei und manchmal sehe ich dort auch einen Reiher. Der wird dann immer besonders herzlich von mir begrüsst. Auf der Schilfseite befindet sich eine sehr grosse Wiese und dann noch ein wenig Wald. Am Waldrand wurden schöne Grillplätze installiert, die im Sommer sehr begehrt sind. Auf der Strandseite stehen grosse Wohnblöcke, die zum Teil noch nicht fertig gebaut sind.

Es ist also nicht einfach schön, wie schön natürlich oder schön unberührt und naturnah, sondern voller Gegensätze. Die eine Seite sehr natürlich und erholsam, weit und grün. Die andere Seite dicht bebaut und grau, Beton und Glas. Trotzdem sind meine ersten Worte, wenn ich dorthin komme, „ach wie schön.“ Und gleich nachdem ich diese Worte ausgesprochen hatte, spürte ich eine Wahrheit aufkeimen. Was ist schön? Ist mein Leben schön? Es ist nicht schön in dem Sinn, dass alles unberührt und naturnah belassen wurde, es hat da auch die eine oder andere Baustelle gegeben. Was aber schliesslich zur Folge hatte, dass Menschen in mein Leben getreten und zu denen Beziehungen entstanden sind, die sonst nicht da wären. Und gerade diese Begegnungen, Beziehungen und Freundschaften machen mein Leben so kostbar und wertvoll – und ja, schön.

Es gibt eine japanische Reparaturmethode für Keramik, in der ein zerbrochenes Tongefäss mit einer Kittmasse geflickt wird, in der Pulvergold oder andere Metalle wie Silber und Platin eingestreut sind. (Es gibt auf Wikipedia einen Artikel dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Kintsugi.) Ein zerbrochenes Gefäss wird so zu einem kostbaren Kunstwerk. Wie eine Tonschale, kann auch ein Leben zerbrechen und wie eine zerbrochene Tonschale können auch die Risse in unserem Leben mit Gold geflickt werden, was uns nur kostbarer macht. Deshalb: Ein Leben, genauer gesagt, dein und mein Leben, kann auch mit einer (oder mehreren) Baustellen schön sein, wie mein See; so schön, dass einem einen Momentlang der Atem stockt und man sich dazu entschliesst doch noch ein Weilchen zu bleiben.

http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Tea_bowl_fixed_in_the_Kintsugi_method.jpg

Trennungszeit 3

Ich habe mir in den letzten paar Wochen viele Gedanken zu meiner Trennung und Scheidung gemacht (zu diesem Thema ein Seminar besucht und auch Artikel gelesen) und dazu drei Artikel verfasst. Da in meinem Freundeskreis Trennung gerade ein Thema ist, werde ich diese Artikel in den nächsten Wochen posten.

Als sich vor Jahren ein befreundetes Ehepaar getrennt hatte, war mein erster Gedanke: „Er (der Partner, der gegangen war) hat einfach aufgegeben“. Inzwischen, also seit meiner Trennung und Scheidung, reagiere ich auf solche Nachrichten viel differenzierter. Aber wie soll man reagieren, wenn man jahrelang der Meinung war, dass die Wiederherstellung einer Ehe immer möglich ist, wenn man nur will und mit Gottes Hilfe sowie so.

Ich war lange gefangen in meiner idealisierten Vorstellung von Ehe – und vom Glauben. In meiner ersten Ehe, die sehr gut war, musste ich mich auch nicht mit solch schwierigen Fragen rumschlagen (und das sage ich mit einem Augenzwinkern, denn); mein Mann war zwar am Sterben, aber unsere Beziehung war bis zum Schluss intakt. Unsere Ehe war tief, liebevoll, nicht ohne Schwierigkeiten, aber echt und echt gut. Ich bin inzwischen der Meinung, dass die Menschen, die nur eine gute Ehe kennen nicht wirklich oder kaum verstehen können, warum eine Ehe zerbrechen kann. Oder warum ein Mensch an seiner Ehe zerbrechen kann. Oder warum man am Ideal zerbrechen kann.

Inzwischen weiss ich, dass solche Dinge passieren können und passieren werden. Und ich habe gelernt es stehen zu lassen. Ich muss nicht alles zurecht rücken. Ich muss nicht tausend super gut gemeinte Ratschläge weitergeben. Ich kann lieben. Ich kann die betroffenen Personen wertschätzen. Ich kann auch meinen Mund halten, anstatt zu richten. Ich muss nicht urteilen, auch nicht durch mein Schweigen.

Folgendes Zitat habe ich irgendwo gelesen oder gehört, weiss aber leider nicht mehr wo:

„There are situations you can’t fix. You can just be there for someone. And sometimes that can be a lot harder than doing something.“

Also: „Es gibt Probleme, die man nicht lösen kann. Man kann nur für die betroffenen Menschen dasein. Und manchmal ist das viel schwieriger als etwas zu tun.“