Glaube – wofür?

Die Predigt vom Sonntag (und das bezieht sich auf den 27.07.2014) war so aussergewöhnlich gut, dass ich einfach darüber schreiben muss. Keine Angst, ihr bekommt keine Predigt zu hören, nur meine Gedanken dazu, die der Prediger so nicht gesagt hat, die er aber durch seine Aussagen in mir ausgelöst hat.

Der Ausgangstext war im Neuen Testament zu finden. (In Lukas 17 für die Bibelkundigen unter euch.) Jesus redet mit seinen Freunden gerade über das Vergeben und sprengt ihr Verständnis davon als er sagt, sie sollten Menschen sogar dann noch vergeben, wenn sie bereits schon sieben Mal um Vergebung gebeten haben. Daraufhin werfen die Freunde von Jesus ihre Hände in die Luft und rufen durcheinander: „Was? Das können wir nicht! Wie sollen wir das schaffen? Jesus, kannst du unser Vertrauen in Gott nicht grösser machen?“ (Volxbibel), worauf Jesus sagt: „Wenn euer Vertrauen nur so gross wäre wie ein kleiner Same von einer Senfpflanze, dann könntet ihr jetzt zu diesem Baum da sagen: ‚Du sollst dich jetzt selber rausreissen und auch den Müllhaufen schmeissen‘, und genau das würde passieren!“ (Volxbibel) An dieser Stelle redet man in christlichen Kreisen auch davon, dass unser Glaube Berge versetzen kann.

In der christlichen Kultur stehen Berge und Bäume, die wir versetzen wollen, für unüberwindbare Probleme, die wir mit unserem Glauben überwinden oder eben lösen wollen, d.h. wir bitten Gott sie für uns zu lösen und uns davon zu erlösen. Wir wollen keine Krankheit, keine Arbeitslosigkeit, keine zerstörten Beziehungen, keine kranken oder toten Ehen, keine rebellischen Kinder und überhaupt kein Leid, wenn es geht, bitte und danke schön. Das kann ich verstehen. Wer will das schon? Aber wir haben den Glauben dazu missbraucht, um uns mit diesen Dingen zu befassen und für die Lösung und Befreiung von diesen Missständen zu beten. Es ist sicherlich nicht falsch für diese Dinge zu beten, aber die Frage stellt sich, ob uns der Glaube primär dazu gegeben wurde.

Der Gedanke aus der Predigt war: Der Glaube ist uns gegeben, um Gott treu zu sein. Das ist für manche von uns eine ganz andere Messlatte. Wir haben das, ehrlich gesagt, etwas vergessen. Oder vielleicht haben wir so viel anderes gehört, dass diese Grundwahrheit etwas verschüttet wurde. Aber an jenem Sonntag hörten wir es klipp und klar: Es geht darum Gott treu zu sein. Dazu gibt er uns den Glauben und die Kraft.

Ich weiss nicht, ob es den anderen Gottesdienstbesuchern so ging wie mir, aber ich wusste: Das ist eine befreiende Botschaft.

Christsein in einer Freikirche kann nämlich ganz schön anstrengend sein. Man befindet sich in einer (freikirchlichen christlichen) Kultur, die sich auf bestimmte Art verhält, bestimmte Sachen tut oder eben nicht tut, hört oder nicht hört, sagt oder lieber doch nicht fragt. Wir stempeln (zu) schnell ab und werden genauso schnell abgestempelt. Dein Sohn ist homosexuell? Du bist geschieden? Hast Mühe mit Pornografie? Das sind heikle Themen in unseren Kreisen.

Haben sich da vielleicht die Prioritäten verschoben? Sind uns unsere äusseren Umstände und unser Ansehen möglicherweise wichtiger geworden als der innere Zustand unseres Herzens? Und ist es nicht so, dass uns oft genau diese schwierigen Umstände nahe bei Gott behalten – dort wo er uns haben will und dort wo wir tief im Herzen auch sein wollen.

Ich fasse zusammen: Mir wurde der Glauben nicht dazu geschenkt ein perfektes, fehlerfreies und problemloses Leben zu führen. Ich soll leben und Fehler machen und lernen und noch einen Versuch starten und wieder auf die Nase fallen dürfen und dabei Gott immer treu bleiben – denn er gibt mir die Kraft und den Glauben, damit ich überhaupt leben kann. Ich glaube, dass ich das mit dem Glauben, der mir gegeben wurde, schaffen kann.

 

Wer sich die Predigt anhören will, kann dies auf www.czs.ch – Predigtarchiv unter 27. Juli 2014 (Werner Kniesel „Vermehre uns den Glauben“ tun.

Mein Jahr fängt an

Es war drei Uhr nachmittags am 2. Januar und schon die dritte Abholfahrt an diesem Tag. In einem Arm hielt ich ein paar Ski fest, unter dem anderen klemmte ich ein Snowboard ein und in einer Hand hielt ich eine grosse Tasche und hoffte, dass die Turnschuhe, die darauf balancierten auch dort bleiben würden. Meine Tochter lief mit einem grossen Koffer, einem Rucksack und einem Skihelm mit baumelnder Skibrille vor mir her. Wir mussten an der Garageneinfahrt zwei Kleinbusse an uns vorbei lassen bevor wir selber die Rampe hinab zu unserem Auto in der Tiefgarage marschieren konnten.

Der Samstag hatte früh angefangen. Um 7 Uhr war ich losgefahren, quer durch die noch dunkle Stadt. Es regnete und kaum war ich im Zentrum streikte mein Navigationsgerät. Mir blieb nichts anderes übrig als den Weg zu erraten, was sich als schwierig erwies, da ich keinen blassen Schimmer hatte, welche Richtung ich einschlagen sollte. Als sich das Navi wieder bequemte mitzumachen, musste ich „bitte wenden“ und war schnell wieder in der richtigen Richtung unterwegs. (Das ist alles nicht wirklich schlimm, aber ich gerate bei solchen Situationen leicht in Panik… .) Mit verkrampften Magen und nach einigen Tränen (weniger wegen der Fahrerei als wegen meiner scheinbaren Unfähigkeit das Leben als Alleinerziehende gut zu meistern) kam ich nach einer Stunde im Lagerhaus an, gerade als es hell wurde. Dort erwartete mich mein Sohn, der sich während dem Lager öfters mal übergeben hatte und deshalb abgeholt werden musste. Diese Aufgabe fiel mir zu, obwohl die Verantwortung für die Kinder meiner Meinung nach beim Ex lag; er sah das wohl anders und – man kann es nicht anders formulieren – hatte mein Mutterherz ausgenutzt. Ich kam mir zumindest ausgenutzt vor. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich den Kürzeren ziehe und meine Pläne ändern muss, weil die Pläne des Ex scheinbar unumstösslich sind – im Gegensatz zu meinen. Das darf ich hoffentlich an dieser Stelle auch mal sagen. Diese Situation ärgerte und beschäftigte mich bereits schon seit dem Abend davor.

Nun gut. Ein paar Stunden später war ich wieder unterwegs, um meine Älteste abzuholen. Ich schaffte es knapp ihren grossen schweren Koffer ins Auto zu hieven und stiess nicht zum ersten Mal an diesem Tag ein Stossgebet zum Himmel: Einen Partner zu haben wäre wirklich, wirklich schön! Gott, meinst du das geht irgendwie???

Und dann, wie ich schon sagte, holte ich das dritte Kind um kurz nach drei ab und stand schwer beladen vor dem Garagentor. Plötzlich winkt uns der Fahrer des zweiten Kleinbusses zu. Es war Jochen, der Götti (Patenonkel) meiner Tochter. Er stieg aus, packte Ski, Snowboard und Koffer in den Minibus und fuhr alles vor unser geparktes Auto. Zack und fertig gejammert. Die Freundlichkeit, die mir in dieser kleinen Geste der praktischen Hilfe entgegenkam, machte mir Mut und berührte mein Herz inmitten der ganzen Bedrückung der letzten Stunden ganz tief. Ich fühlte mich gesehen und getröstet.