Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Ich möchte das präzisieren: Ich hatte ihn schon sehr lange nicht gesehen. Was nicht an ihm lag, nein, es lag an mir, das war offensichtlich. Ich hatte mich schon sehr lange nicht mehr in seinen Gefilden aufgehalten.
Aber jetzt war ich wieder da – und auch wenn ich es kaum zu hoffen wagte (ich hatte mir gerade eingeredet, dass er vermutlich gar nicht da sein würde) – war er es auch. Ich habe ihn tatsächlich entdeckt. Wir haben uns begrüsst und ein paar freundliche Worte gewechselt. Eigentlich war ich ihm schon letzte Woche begegnet, aber da war ich mit einer Freundin unterwegs und habe ihn ohne grossen Aufhebens zur Kenntnis genommen. Er war nicht beleidigt. Und auch heute begegnete er mir auf keiner Art und Weise vorwurfsvoll. Wie nett von ihm. Und wie freundlich. Er hat diese Art, die ich mir für mein Leben und meinen Umgang mit meinen Freunden auch wünsche.
Meine Freunde und die Leser meines Blogs wissen, dass ich vom „alten zerzausten Mann am See“ rede… ich meine natürlich den Reiher am See, den ich beim Joggen so oft sehe.
Als wir kürzlich mit Freunden beim Essen über unsere Nähe zu Gott redeten und dass wir manchmal ein wenig den Draht zu ihm verlieren oder dieser Draht nicht immer so heiss ist, kam mir der Reiher wieder in den Sinn. Joggen tut mir gut. Den Reiher sehe ich beim Joggen. Aber ich war bis vor kurzem einfach (wieder) nicht joggen gegangen. (Bis meine liebe Nachbarin mich wieder dazu aufforderte und mich mitnahm.) Das ist eine wunderbare Analogie meiner Gottesbeziehung. Ich muss mir Gottes Freundlichkeit nicht verdienen, muss nichts besonderes vorweisen, aber es hilft ungemein, wenn ich dorthin gehe, wo ich ihn sehe. Und wenn ich dort bin, hilft es, dass ich aufmerksam nach ihm Ausschau halte. Und manchmal muss mich jemand anders dazu auffordern und mitnehmen.
Glücklicherweise sind die Tage vorbei, wo Gott sich nur im Tempel an einem bestimmten Ort aufhält – und übrigens hat er damals schon diese Konvention gesprengt und ist Menschen dann und dort begegnet, wo er wollte. Ich kann immer und überall aufmerksam durch den Alltag gehen und hier und dort sehen, wie er sich zeigt und mir verschmitzt zuzwinkert, in dem freundlichen Blick einer Nachbarin, in der Geduld einer Mutter mit ihrem quengelnden Kind, in der liebevollen Zuwendung eines Vaters, der die Velos seiner Kinder flickt und beim Pumpen hilft, in der Umarmung meines Liebsten, bei dem ich mich fallen lassen kann – und besonders jetzt im Frühling in der blühenden Natur um uns herum. Er ist immer und überall um uns herum.
Ich kann mir also bewusst für die Gottesbegegnung Zeit und Raum schaffen, mich sozusagen dorthin bewegen, wo er ist, aber ich kann auch aufmerksam durch meinen Tag gehen. Ich mache gern beides, weil mich beides erfüllt. Aber ich schaffe es nicht immer. Was mir nie von seiner Seite vorgeworfen wird. Wie schön! Wie freundlich!