Selbstzweifel

Gestern habe ich versucht die Unterlagen für die Vergünstigung für die Musikschule zusammenzustellen. Mann, war das ein Fiasko! Eigentlich war es nicht so schwierig, aber manchmal gelingt es mir aus „einfach“ „schwierig“ zu machen. Ich brauchte „nur“ eine Kopie der Steuererklärung 2013. ABER, ich suchte zuerst die Steuererklärung 2012, die ich nicht fand, d.h. ich dachte mir fehlte die erste Seite, also druckte ich die aus, die im Computer gespeichert war, was ewig dauerte, weil ich nicht so genau weiss, wie das geht; dann, als ich dachte, dass alles komplett war, fand ich plötzlich die restlichen Seiten nicht mehr (was beim Chaos in meinem Büro-/Schlafzimmer nicht verwunderlich ist) und gab nach einer Stunde einfach frustriert auf.

Heute morgen nahm ich einen neuen Anlauf. Das Sichtmäppchen mit 2012 lag auf meinem Pult, recht gut sichtbar (nur gestern Abend war es kurz unsichtbar), und zum Glück las ich die Anleitung noch mal, wo ich dann merkte, dass ich gar nicht 2012, sondern 2013 brauchte… na sagt’s doch gleich!

Ich habe alles kopiert, in ein Kuvert gestopft und bringe es nachher zum Briefkasten. Manno. Was für ein Theater nur wegen ein paar Steuerunterlagen. Ehrlich.

Nachtrag: Zwei Wochen später schickte mir die Musikschule alles zurück. Ich hatte das falsche Formular ausgefüllt und die Steuererklärung 2012 geschickt… Ist mir noch zu helfen? Drei Kinder gross zu ziehen, (ver)braucht mehr Hirnzellen als ich bisher angenommen hatte.

Ganz normale Helden

Acht Tage. Acht ganze Tage. Von Sonntagmorgen bis zum nächsten Sonntagabend musste ich nur an mich denken, nur für mich packen, nur für mich Entscheidungen treffen, nur für mich sorgen. Ich war ohne Kinder mit zwei Freundinnen unterwegs, zuerst im Jura und dann in Basel. Es war herrlich. Aber auch anstrengend. Vor allem die ersten vier Tage an denen wir jeweils zwischen vier und sechs Stunden gewandert sind. Aber es war gut. Es tat gut am Abend so müde zu sein, dass wir schon um 20 h im Bett waren und kurz darauf einschliefen. Es tat gut einfach zu sein, zu quatschen, zu denken, zu träumen, zu lachen. Ohne an jemand anders zu denken, als nur an mich und meine Weggefährtinnen. Es war eine Leichtigkeit, die ich im Hier und Jetzt mit meinen Kindern wieder vermisse. Ich bin wieder für alle und alles verantwortlich. Ach was, dachte ich früher, die Kinder sind jetzt älter und selbstständiger. Ja, schon, aber ich bin ihre Mutter und alles prallt an mir ab, vieles hängt noch von mir ab und ich frage mich, ob ich sie gut genug erzogen habe; keiner will mir mit der Wäsche helfen (Berge nach den Ferien, obwohl Sven in der Lagerwoche nur ein Bruchteil von dem angezogen hat, was wir eingepackt hatten – aber immerhin hat er am vorletzten Tag seine Zahnbürste ‚gefunden‘ und wohl auch gebraucht!), mit Müh und Not kann ich sie dazu bewegen mir beim Tischdecken und Kochen zu helfen. Aufräumen – ein Fremdwort für meine Kinder. Und ich habe es satt allen hinterher zu laufen und an alles zu denken. Nur schon der Gedanke daran macht mich müde.

Ich dachte, ich wäre nach meinen Ferien wieder so richtig fit und ausgeruht und gestärkt. Aber die erste Woche mit den Kindern ist noch nicht vorbei und ich bin schon wieder müde, hatte wieder oft starke Kopfschmerzen, wollte nach dem Schlafen (in der Nacht und nach der Mittagspause!) nicht wirklich aufstehen und musste mir unter der Decke meinen ganzen Mut zusammenkratzen, um dann mit Gottes Hilfe aufzustehen und den Rest vom Tag in Angriff zu nehmen – der, zugegeben, im Moment nicht wirklich schwierig ist, aber mich doch von der ganzen Verantwortung her einfach schlaucht.

Ich dachte, ich würde mit neuen Blogideen und voller Tatendrang zurückkommen, aber mein erstes Gefühl als ich wieder Zuhause war, war ein Gefühl der Leere und Einsamkeit. Diese Einsamkeit schleicht sich immer wieder ganz unbemerkt rein und tut dann so unschuldig. Die Kinder verscheuchten die Einsamkeit ziemlich schnell, aber die Leere hing noch länger hier rum. Und das Gefühl, dass mir alles zu viel wird, lähmt mich und ich schaffe noch weniger als sonst.

Nun gut, ich habe noch ein paar wenigen Wochen vor mir, um das alles einigermassen in den Griff zu bekommen und um mich wieder füllen zu lassen. Und schon heute hat mir ein Freund ein Lied zugeschickt, dass mich tief berührt und mir auch wieder Mut gemacht hat. Hier ist, ganz besonders für meine alleinerziehende Mitstreiter, Casting Crowns mit Heroes: http://www.youtube.com/watch?v=Bo6MzvgdDEY

„Heroes“

She’s on her own, two girls at home

Thirteen years just up and walked away

And left her all alone

With bills to pay and mouths to feed

And every day she’s taking care of everybody else’s needs

But she’s finding her strength in the One love that won’t ever leave her

So she works and she prays and she loves and she stays cause they need her

These are the heroes, just ordinary people

Laying down their lives like angels in disguise

They’re weak but always willing

They dare to do the hard things

And in the dark and desperate places no one else goes

You’ll find the heroes

You’ll find the heroes

He walks the halls, against the flow

He sees his high school as his mission field

He’s broken cause he knows

The hopeless road that they are taking

The empty feelings they are chasing only lead to futures wasted

So he’s willing to stand alone

He lives what he believes when they all say it’s not worth believing

Every night on his knees, he prays God, won’t You please help me reach them?

You may never know their names

But they’re moving mountains just the same

Instead of searching for the spotlight

They’ll follow Jesus into the darkest night

Heroes, these are the heroes

In the board room with a Bible

In the classroom praying for revival

In third world countries, in downtown missions

Heroes. Helden. Wer sind die Helden von heute? Sind das vielleicht auch die Alleinerziehenden, die so vieles alleine tragen und jeden Tag wieder neu aufstehen und den Alltag in Angriff nehmen, obwohl die Last schon lange zu schwer ist? Sind das nicht auch die treuen Leiter der Royal Rangers (christliche Pfadfinder), die selber mit dem Leben und Glauben kämpfen, aber immer für meine Kinder da sind, ihnen ein abwechslungsreiches Programm bieten und das Leben mit ihnen teilen? Und die Frauen und Männer, die Tag für Tag ihren betagten und bedürftigen Ehepartner pflegen? Auf euch!

Schritt für Schritt

Hier ist nun der ausführliche Bericht meiner Wanderferien:

Am ersten Tag wanderten wir auf und um den Creux du Van. Etwa 730 Höhenmeter. Die schweren Rucksäcke hatten wir am Bahnhof gelassen, was mit einer gewissen Hektik in Neuchâtel verbunden war, da wir nur wenige Minuten zur Verfügung hatten, um die Schliessfächer zu finden, alles reinzupacken und dann auf’s Gleis zu rennen (um den Anschluss nicht zu verpassen), aber eine weise Entscheidung war, obwohl ich dann noch mein Billette kaufen musste (was trotz einigen Anlaufschwierigkeiten schliesslich doch mit der SBB-App klappte). Es ging alles auf. Der Creux du Van war sehr eindrücklich und wir am Ende des Tages sehr müde – aber glücklich. Und mit meinen zwei Freundinnen zusammen hat Hektik immer einen Anstrich von…verrückt-lustig und „puh, wir haben’s geschafft“ – wir sind also gut und verrückt!

Am zweiten Tag nahmen wir den Zug von Le Locle nach Les Brennets, wo wir ein Schiff zu den Sauts du Doubs nahmen und dann dem Doubs nach Richtung Biaufond wanderten – etwa sechs Stunden und diesmal mit den schweren Rucksäcken. Da machte sich der Muskelkater in den Schienbeinen vom Abstieg des Creux du Van schon mal bemerkbar, aber ich schrieb innerlich schon an einem Blog.

Am dritten Tag wanderten wir den Doubs entlang bis nach Goumois – wir liessen die „Echelles de la mort“, also die Todesleitern wohlweisslich aus, aber ich hatte an diesem Punkt schon in den Überlebensmodus gewechselt und alle Gedanken an einen zukünftigen Blog waren verflogen. Ich sagte meinen Freundinnen nur, dass ich, falls ich überleben sollte, sicherlich einen Orden verdient hätte. Mir taten nicht nur die Schienbeine weh, sondern jetzt machten sich auch noch die Waden bemerkbar und um das Erlebnis noch unvergesslicher zu machen, schmerzten meine Fussballen. Nach ein paar Stunden ging es nur noch darum einen Schritt nach dem anderen zu machen – sonst wäre ich nie angekommen. Ich hatte auch keine andere Wahl. Und genau an diesem Punkt dämmerte mir, was unsere Wanderung mit meinem Leben zu tun hat – aber erst als ich schon längst wieder Zuhause war.

In der erster Woche nach den Wanderferien, als ich in den (anstrengenden Ferien-) Alltag mit den Kinder eintauchte, wurde mir etwas klar. Ich wache immer noch jeden Tag mit einem Hilfeschrei zum Himmel auf und gehe am Abend mit einem Danke auf den Lippen ins Bett. Dazwischen gibt es nur eins: einen Schritt nach dem anderen zu machen. Manchmal will ich keinen Schritt mehr machen oder dann nur Schritte weg von allem, was mir gerade zu anstrengend ist und über den Kopf wächst, aber es gibt gerade keinen anderen Weg mein Ziel (sagen wir mal kurzfristig gedacht: den Abend) zu erreichen, als nur einen Schritt nach dem anderen zu machen.

Manchmal geht es nur darum, das zu machen, was vor einem liegt. Ein Schritt nach dem anderen.

Aufstehen. Schritt. Frühstücken. Schritt. Pausenbrote schmieren. Schritt. Die Kinder mit einer Umarmung oder einem Kuss verabschieden. Schritt. Arbeiten. Schritt. Mittagessen kochen. Schritt. Nach dem Essen aufräumen. Schritt. Arbeiten. Schritt. Die Kinder nach der Schule in Empfang nehmen und mich dann auf den wirklich anstrengenden Teil gefasst machen. Schritt. Kinder an die Hausaufgaben erinnern. Schritt. Kristina helfen, die um meine Hilfe bittet, sie aber nicht wirklich annehmen will (z.B. bei den Hausaufgaben und was mich das an Nerven kostet, geht auf keine Kuhhaut). Lange überlegen und dann doch: Schritt. Mit Sven lesen üben. Schritt. Jana bei Berufswahl-Angelegenheiten helfen. Schritt. Und noch tausend andere kleine aber wichtige Dinge, die zur ganz normalen Alltagsbewältigung gehören. Und immer: Schritt.

Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass wir am vierten Tag unserer Wanderferien von Goumois in vier Stunden nach Soubey wanderten, wo wir in ein kleines Postauto stiegen, dass uns nach St. Ursanne brachte. Dort war unsere Wanderung zu Ende und wir nahmen den Zug nach Basel, wo wir ein paar sommerliche und erlebnisreiche Tage verbrachten.

Ein Schritt nach dem anderen. Ein Tag nach dem anderen. Woche um Woche. Aber wir erreichen Ziele. Wir kommen immer wieder an. Wir bleiben dran, Schritt für Schritt und deshalb sind wir Helden und haben einen Orden verdient.

Was ich beim Wandern gelernt habe

Hier ist die Kurzfassung meiner Wanderferien, die längere Version folgt in Kürze:

  1. Ein Ziel vor Augen zu haben, hilft mir weiterzugehen und gibt die Richtung an.
  2. Gute Begleiter machen Mut und motivieren.
  3. Manchmal kommt man nur vorwärts, wenn man einen Fuss vor den anderen setzt.
  4. Wenn die Last sehr drückt, kann es helfen die Haltung zu ändern oder die Last anzupassen.
  5. Gute Begleiter sind alles (das kann ich nicht genug betonen).

 

Heilig leben?

Was bedeutet es heilig zu leben? Das Wort heilig gehört ja nicht gerade zu unserem Alltagsvokabular. Aber wer sich ab und zu in ein Gotteshaus verirrt, der wird diese Worte vermutlich hören. Und wer regelmässig einen Gottesdienst besucht, der wird diese Worte schon so oft gehört haben, dass er sie schon wieder „überhört“. Aber ab und zu frage ich mich solche Fragen und möchte euch Anteil geben an meinen Gedanken dazu.

Bedeutet heilig leben gewisse Dinge nicht zu tun? Bedeutet es gewisse andere Dinge zu tun? Vielleicht. Vielleicht ist heilig leben aber noch viel mehr als nur gewisse Regeln einzuhalten.

Vor einiger Zeit habe ich gelernt, was das Wort heilig in der Bibel bedeutet, nämlich, „für einen besonderen Zweck abgesondert“. Vielleicht habt ihr noch Sonntagsgeschirr? Das wäre dann „heiliges“ Geschirr. Ich gebe zu, das ist alles vielleicht etwas arg vereinfacht, aber es hat mir das Wort heilig wieder näher gebracht und ich meine es jetzt besser zu verstehen, wenn uns gesagt wird, wir sollen heilig leben, weil Gott heilig ist.

Irgendwann haben wir angefangen ein heiliges Leben mit einem sündlosen Leben zu verwechseln. Und die Schuldgefühle mitsamt Selbstverdammnis lauern gleich um die Ecke. Ist ja nicht zu sagen, was für einen Druck wir uns dadurch aussetzen.

Ich habe nichts, rein gar nichts, gegen gewisse Leitplanken – ich begrüsse sie sogar – da wir alle wissen, dass im Zusammenleben jeder nicht einfach das machen darf, was er will. Hier geht es aber um unsere tiefste Motivation, eigentlich um unser Herz: Warum lebe ich wie ich lebe? Wer oder was bestimmt meinen Umgang mit dem Leben und mit allem, was mir das Leben so in den Schoss wirft?

Noch mehr als meinen Kindern einen gesunden Lebensstil (im christlichen Jargon wäre das dann „heilig leben“) zu vermitteln, möchte ich ihnen einprägen, dass Gottes Liebe für sie grösser ist als jeder Fehlentscheid und jedes Versagen. Ich habe jahrelang gebraucht das zu verstehen und wenn es etwas gibt, dass ich aus meiner Scheidung gelernt habe, dann ist es dies: Gott hat keinen Plan B. Er hat Plan A schon lange im Voraus gewusst und sich trotzdem auf mich eingelassen. Diese Liebe, dieses Trotz-Meines-Versagens-Für-Mich-Sein ist es, was mich so zu ihm zieht. Er kennt mein Scheitern, nimmt mich trotzdem an und hat sogar eine Bestimmung und einen Plan für mich. Diese Gnade ist unfassbar. Und plötzlich ist mein Leben total wertvoll und heilig (für einen besonderen Zweck abgesondert).

„Heilig leben“ scheint mehr damit zu tun zu haben, was Gott tut, als mit dem was ich tue. Oder könnt ihr euch vorstellen, wie Gott plötzlich überrascht aufschaut und sagt: „Hoppla, die Sonja da unten, die hat meinen Plan aber gehörig vermasselt. Oi vey, was mach‘ ich nun? Wie krieg‘ ich das jetzt wieder hin?“ Ich weiss nicht, wie gross dein Gott ist, aber meiner ist definitiv grösser.

Liebe an der Langstrasse

Kürzlich war ich an der Langstrasse und war zutiefst berührt. Was mich berührte, war jedoch nicht die Langstrasse – das Milieu – in Zürich, es waren die Menschen. Und Menschen hat es dort jede Menge – in allen Farben und Formen und von jeder Sorte.

Ich besuchte die „Kunst im Milieu“-Bilderaustellung von Dorothée Widmer in den Räumlichkeiten von Heartwings (www.heartwings.ch) und habe auch ihren Mann, Peter, kennengelernt. Ich hatte ihn an einer Geburtstagparty-Hochzeit (eine wunderbare Geschichte für sich) reden hören und wusste, ich will (muss) diese Bilderausstellung besuchen.

Ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil, immer wenn ich daran denke oder davon erzähle, was ich dort gesehen und gehört habe, bekomme ich feuchte Augen. Was hat mich dort so berührt? Nein, es war nicht der Schrecken und die Gesetzlosigkeit von Menschenhandel. Es war nicht die Gefangenschaft und Hoffnungslosigkeit von Frauen, die gegen ihren Willen oder schlicht zum Überleben anschaffen müssen. Es war nicht die Verloren- und Zerbrochenheit der Freier und Zuhälter und auch nicht die ausdrucksstarken Bilder von Dorothée oder die Geschichten von Menschen, die Dorothée und Peter begleiten – obwohl das auch alles seine Berechtigung hätte und mich, ehrlich gesagt, auch berührt hat.

Was mich noch tiefer als das Elend berührte, war die grosse Freude und tiefe Liebe von Dorothée und Peter. Zu einander, ja, zu Gott auch, aber auch in einem gewaltigem Mass zur Langstrasse und damit meine ich nicht nur den Ort. Sie haben eine tiefe Überzeugung, dass Gott gross genug, es ihm wichtig genug und jeder einzelne Mensch dort wertvoll genug ist, um an der Langstrasse zu erscheinen und die Menschen dort in ein freies Leben zu führen. Diese Überzeugung durchdringt jede Pore ihres Seins und strömt förmlich aus ihnen heraus. Diese Liebe ist so echt und so authentisch, dass man sich ihr nur schwer widersetzen kann, was jede und jeder merkt, der mit Dorothée und Peter und ihren Heartwings-Mitarbeitern in Berührung kommt. Menschen an der Langstrasse werden geliebt, wie sie sind; weil Gott die Welt liebt, wie sie ist. Die Welt musste sich nicht zuerst ändern und anpassen oder fromm und schicklich werden, bevor Gott seine Liebe in einen zerbrechlichen und endlichen Körper mit Herz, Haut und Haar packte und auf diese Erde schickte.

Da war nämlich mal einer, der setzte sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch.

Da war mal einer, der verurteilte die Ehebrecherin nicht.

Da war einer, der vergab sogar einem Verbrecher.

Er liebt immer noch. Echt und authentisch. Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Mit Gefühlen. Mit Geschichten und konkreter Hilfe.

Was ich an der Langstrasse gesehen habe, ist ein Ausdruck dieser Liebe, wie ich sie nur an wenigen Orten sonst entdeckt habe. Diese Liebe leuchtet den Weg in die Freiheit. Sie befreit. Sie heilt. Sie gibt alles – genauso wie es ein besonderer Mann aus dem Nahen Osten damals tat. Ist das vielleicht Grund genug auch so zu lieben?

Vitiligo

Ich habe Vitiligo. Vitiligo ist ein Hautleiden. Ich muss an dieser Stelle gleich anmerken, dass ich nicht wirklich darunter leide, zumindest nicht physisch. Typisch für Vitiligo sind Pigmentstörungen in Form weißer, pigmentfreier Hautflecken, die sich ausweiten können, aber nicht unbedingt müssen. (Alles Weitere könnt ihr googeln.)

Als ich drei Jahre alt war, entdeckten meine Eltern den ersten weissen Fleck an meinem Bauch. Die Flecken sind über die Jahre gekommen, gegangen, dann immer mehr und grösser geworden und jetzt im Sommer, wo sich die gesunde Haut bräunt, fallen die weissen Flecken richtig gut auf.

Ich komme zurück auf das Leiden. Ich sagte, mein Leiden sei nicht physisch. Und doch ist es nicht ganz ohne eine so sichtbar auffallende Hautkrankheit zu haben. Als Teenager habe ich mich für meine weissen Knie geschämt. Und als ich mich endlich mit etwa 30 an die Flecken an meinem Körper gewöhnt hatte, wurden die Flecken in meinem Gesicht immer grösser und mehr. Das steckt eine Frau (und wohl auch mancher Mann) nicht einfach so weg. Auch nicht wenn alle sagen, es sei ja nur äusserlich und meine Familie und engsten Freunde mir bestätigen, dass sie es schon gar nicht mehr wahrnehmen.

Ich war sehr erleichtert, als ich vor einigen Jahren stark deckendes Camouflage Make-Up kennengelernte, welches viel besser abdeckt und haftet als normales Make-Up. Seither schminke ich mich jeden Tag und bekomme von Leuten, die nicht wissen, dass ich im Gesicht Flecken habe, zu hören: „Zum Glück hast du keine Flecken im Gesicht!“, worauf ich sie dann meistens aufkläre und sie mein Gesicht ungläubig mustern.

Ich denke oft, dass es uns im Umgang miteinander nicht viel anders geht. Wir gehen davon aus, dass es unseren Mitmenschen so gut geht, wie sie aussehen. Aber vielleicht ist es nur die Schminke, die gut aussieht. Vielleicht versteckt sich unter der Schminke ein weisser Fleck, ein Leiden, eine kranke Ehe, die Sorge um ein problematisches Kind, eine scheidungsbedingte Armut, ein Versagen, eine Sucht, eine Verzweiflung (die Liste lässt sich endlos weiterführen). Aber wir lassen uns von der Schminke blenden und überdecken unsere eignen weissen Flecken selber auch tüchtig mit Schminke.

Dieses „Sich-etwas-vorspielen“ führt zu zwei negativen Auswüchsen. Erstens, leben wir nicht authentisch und zweitens, rauben wir allen anderen die Möglichkeit uns dort zu begegnen, wo eine Beziehung echt wird. Das heisst, keiner, weder wir noch die anderen, können das leben, wozu wir bestimmt sind und wonach wir uns sehnen, nämlich Gemeinschaft.

Dabei machen uns unsere Fehler, unsere Schwächen und Grenzen gerade menschlich und nahbar. Was mich an anderen Menschen anzieht, ist nicht ihr Superhelden-Gehabe, ihr perfektes „Ich-hab’s-ja-so-im-Griff“-Leben oder ihr geistliches Übertünchen aller zerbrochenen Menschlichkeit. Ich werde vielmehr von dem angezogen, womit ich mich identifizieren kann, also ihren Schwächen, ihren Fehler und ihren Grenzen, gerade weil ich meine Schwächen, Fehler und Grenzen kenne. Da kann ich mitreden. Ich werde mich nicht mit deinem perfekten Familienleben identifizieren können. Da wird zwischen uns nichts entstehen. Aber wenn ich höre, wie es wirklich mit deinem Teenager läuft und wie du dich dabei fühlst, werden wir beide zusammen darüber lachen (oder weinen) können und ich werde merken, dass ich nicht allein bin. Das tut meiner Seele gut.

Vor ein paar Jahren traf ich ein etwa 6-jähriges Mädchen, deren ganzer Körper so stark von Vitiligo betroffen war, dass es aussah, als habe sie dunkle Flecken, statt weisse. Plötzlich merkte sie, dass ich auch weisse Flecken hatte und schloss mich sofort in ihr Herz. Wo sie mich vorher kaum beachtet hatte, schwirrte sie nun um mich her, erzählte von ihrem Bruder, zeigte mir Fotos und war ganz einfach daran interessiert ihr Leben mit mir zu teilen. Ohne viele Worte darüber zu machen, wusste das kleine Mädchen, dass ich sie verstand. Zum ersten Mal war ich froh um meine Flecken. Meine Flecken gehören zu mir, wie meine Erfolge und Misserfolge. Sie haben mich und meine Geschichte geprägt und mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Sie haben mir sogar die Türen zu einem anderen Herzen geöffnet. Wenn das nicht was wert ist!

Das Foto

Ich fühlte mich allein, sehr unsicher, unwichtig, unsichtbar, wie das fünfte Rad am Wagen, wäre gern im Boden versunken, fragte mich, wie ich mit jemanden ins Gespräch kommen sollte und wie man schon wieder dieses Smalltalk macht. Ich klagte mich an, warum ich dieses „lockere“ Zusammensein so anstrengend empfand, warum mir nicht einfalle, was man zu Menschen sagt, die man nicht kennt und warum ich so introvertiert sei.

Ich schaute mir das Foto einer Frau an; sie war auch dort an demselben Ort wie ich. Ich sah ein strahlendes Lächeln, wache, aufmerksame und fröhliche Augen. Ich sah eine Entschlossenheit, als wäre ihr wohl in ihrer Haut, als wäre sei bei sich angekommen und glücklich. Eine gewisse Jugendlichkeit trotz ihrer bald 48 Jahre.

Die Frau auf dem Foto war ich.

Der Sturz

Manchmal ist ein Sturz vom Velo (Fahrrad für die Deutschen unter euch) vergleichbar mit einem Sturz im Leben.

Ich war auf dem Weg zu einem Treffen mit zwei Freundinnen und gerade als ich ein steiles Strässchen hochfahren wollte, fiel ich vom Velo. Es war ein langsamer Sturz (keine Schürfungen und so) und gleichzeitig so schnell vorbei, dass ich mich unter meinem Velo wiederfand, bevor ich richtig begriffen hatte, was geschehen war. Also, entweder ich werde einfach alt und tattrig, oder es hatte damit zu tun, dass mein Körper noch so viel Schwung hatte und der Gang so niedrig war, dass es einfach nicht passte und ich ins Leere hinaus trampelte.

Dieses mit zu viel Schwung ins Leere trampeln, kenne ich. Ich kenne es aus diesem Zwei-Wochen-Rhythmus mit den Kindern: Ein Wochenende bei mir, ein Wochenende bei ihrem Vater. Wir wissen ja, dass es für die Kinder nicht einfach ist. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass es für mich auch nicht einfach ist. (Auch wenn mich andere Mütter um diese kinderfreien Wochenenden beneiden…tut mir Leid, Ladies.) Ohne diese kinderfreien Wochenenden mutiere ich zum nervösen Wrack. Wenn ich aber dann ein kinderfreies Wochenende habe, stürze ich oft und heftig und frag mich, wie ich so plötzlich auf dem Boden landen konnte – es sollte mir doch jetzt besonders gut gehen. Das Leben mit den Kindern ist so voll: Reden, Streiten, Schlichten, Lachen, Kochen, Essen, Sachen machen (wenn ihr das laut lest, merkt ihr, dass es sich irgendwie reimt). Wenn alle plötzlich am Freitagabend weg sind, trample ich mit enormen Schub ins Leere. Bumm. Da lieg ich und sehe nur noch, wie sich die Räder in der Luft drehen.

Aber ich kann euch beruhigen. Ich falle nicht mehr so oft. Nach bald acht Jahren schaffe ich es manchmal auf den Rädern des Lebens zu bleiben und fröhlich ins Wochenende zu radeln. Nicht immer, aber immer öfter.

Wenn Gott mir ein Parfüm schenkt

Ich unterhielt mich mit meiner Tochter. Das machen wir ab und zu :-). Aber an diesem Wochenende war es anders, weil ihre Geschwister nicht Zuhause waren und sie meine ganze, ungeteilte Aufmerksamkeit hatte.

Wie es beim Reden so ist, kamen wir von einem Thema zum nächsten und ich erzählte von einer Bekannten, die auf Parfüm allergisch ist und dass ich zwar nur wenig Parfüm auftrage, aber fast jeden Tag und dass ich mir bald wieder eines kaufen müsste, weil das Fläschchen schon fast leer ist. Ich erzählte von meinem Lieblingsparfüm (Pleasures – Bloom von Estee Lauder, teuer und noch nie gekauft), von einem günstigeren Parfüm (Summer Edition von Escada, schon mal gekauft) und von meinem jetzigen Parfüm (Paris Eau de Printemps von YSL), dass ich von einer Freundin bekommen hatte.

Jana wollte es genauer wissen und ich erklärte, dass Monika sich nach langem Überlegen diese Parfüm gekauft hatte, aber es ihr dann doch nicht so gut gefiel. Jana machte grosse Augen: Wie kann man so was Teures kaufen und erst nachher feststellen, dass es einem nicht gefällt? Das war einfach zu erklären, denn wie sonst soll Gott es anstellen, wenn er mir ein Parfüm schenken will? Er schickt eine Freundin, die das für ihn erledigt. (Und manchmal ist ein Fehleinkauf gar kein Fehler!)