Keine Antworten

Hat es mit dem Älterwerden zu tun? Mit den Hormonen? Mit der Lebensrealität? Mit der Lebenserfahrung? Das Vokabular vom Reich Gottes im Hier und Jetzt von den Träumen, den Visionen, der Herrlichkeit, den Wundern, der Befreiung und wie die Schlagworte alle heissen, die uns jahrelang begleitet haben, all diese Begriffe reichen nicht mehr aus und werden dem Leben, wie ich es erlebe nicht mehr gerecht. Zu der jugendlichen Euphorie genau am richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, wo Gott uns gebrauchen will, um sein Reich zu bauen, gesellt sich der graue Alltag von dem kaum einer spricht. Wann hören wir, dass wir im Büroalltag oder zwischen Windeln und Küche oder in der Auseinandersetzung mit aufmüpfigen Teenagern Reich Gottes bauen? Dass wir genau dann, wenn wir Zahlen auf dem Blatt hin und her schieben oder die Wäsche zum Trocknen aufhängen einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung von Gottes Vision für unser Leben leisten? Und doch muss es so sein, denn unsere erste Aufgabe, so banal es tönt, ist zu leben. Gott hauchte Adam Leben ein – wozu? Um zu leben. Und zu diesem, unserem Leben gehören genau diese alltäglichen Dinge.

Dazu kommt die harte Realität, dass wir hier auf der Erde leben und eben noch nicht im Himmel. Das bedeutet Not und Leid in Form von Krankheit, zerbrochenen Beziehungen, Ungerechtigkeit, Missbrauch, Rechnungen, die bezahlt werden müssen aus einem Konto, welches rot aufleuchtet, weil gar nicht genug zum Leben eingezahlt wurde. Wo, wo, ach wo, ist hier Reich Gottes? Wir leben im „schon – und noch nicht“, in der Zeit zwischen Verheissung und Erfüllung, wobei einige Verheissungen schon jetzt erfüllt werden, aber noch nicht alle. Wann wissen wir „damit muss ich leben“ oder eben nicht? Wann ist es Zeit sich zu wehren, wann Zeit zu schweigen?

Ich habe keine eindeutige Antworten mehr. Ich bin mir inzwischen auch nicht mehr sicher, ob es auf dieser Seite der Ewigkeit überhaupt eindeutige Antworten gibt. Vielleicht ist genau dieses Dilemma Gottes Antwort auf unsere Forderung immer und für alles jetzt sofort eine Antwort zu haben. Es zeigt mir zumindest, dass die Welt, die sichtbare sowie die geistliche, dass der Mensch, dass Gott nicht so schwarz-weiss ist, wie ich es immer dachte und mir zu oft gepredigt wurde. Es zeigt mir, dass wir weder die Welt, noch die Menschen und schon gar nicht Gott im Griff haben. Es zeigt mir, dass wir ganz klein und unwissend sind und Gott in Dimensionen anders ist, die wir uns gar nicht vorstellen können.

Vielleicht ist es an der Zeit ein neues Vokabular zu lernen und unseren Wortschatz zu vergrössern. Mit 50 ist es noch nicht zu spät, so sagt man jedenfalls. Ich möchte die Worte lernen, die in der Not, sei sie körperlich, materiell oder geistlich, einen Sinn finden, eine Zukunft, eine verborgene Schönheit und Stärke entdecken. Worte, die Hoffnung geben, auch wenn es dunkel oder still bleibt und sich auch gar nichts zum Guten verändert.

„Du bist nicht allein“ ist ein solches Wort. Zu Schweigen ist auch ein Wort. Zu wissen, wann das Eine, wann das Andere dran ist, ist Weisheit.

5 Gedanken zu „Keine Antworten

  1. Liebe Sonja, ich meinte zu beobachten, dass du mit solchen Gedanken bei weitem nicht alleine bist. Vor allem bei Gläubigen in fortgeschritten Alter fällt mir das auf. Und das auch bei Christen die mal on fire waren, wichtige Dienste hatten. Ich würde es als eine Ernüchterung bezeichnen. Ernüchterung, dass sich viele Verheissungen nicht erfüllt haben, oder waren es nur Menschenworte? Gut gemeinte Versprechen?
    Eine Aussage von Paulus bringt es für mich nüchtern u glaubensvoll auf den Punkt:

    Ich habe gelernt, in jeder Lage zurechtzukommen und nicht von äußeren Umständen abhängig zu sein: Ich kann Not leiden, ich kann im Wohlstand leben; mit jeder Lage bin ich vertraut. Ich kenne Sattsein und Hungern, ich kenne Mangel und Überfluss. Allem bin ich gewachsen durch den, der mich stark macht.

    Er erwähnt das Auf u Ab, das es scheinbar in seinem so gläubigen Leben auch gab, kommt dann aber auf den springenden Punkt zu sprechen: „Ich habe gelernt“!

  2. The verse that Josef quoted is exactly the one that came to my mind. In English: I have learned in whatever state I am wherewith to be content. It is not easy by any means, but as Paul said….I have learned. Love you, Mom

  3. Wow, mit was für wunderbaren Worten du die ganz banale Herrlichkeit des Wachsens und Lebens erahnen lässt.
    Ich freue mich dich kennengelernt zu haben und auf manches gute Gespräch!
    Sei fest umarmt!

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