Die ganze Thematik der Flüchtlinge und Ausländer, sei es wegen der Flüchtlingswelle oder der Durchsetzungsinitiative (worüber wir in der Schweiz dieses Wochenende abstimmen), berührt mich und nicht erst seit gestern – eigentlich schon mein ganzes Leben.
Ich muss mein Gedankenfeld von Hinten aufrollen. Ich bin in Amerika geboren, bis 14 (fast 15) in Südamerika aufgewachsen und lebe seit über 35 Jahren (mit kurzen Unterbrüchen) in der Schweiz. Weil ich vor vielen, vielen Jahren (es sind dieses Jahr 27 Jahre her!) einen Schweizer geheiratet habe, habe ich den Schweizer Pass (das war damals noch so). Aber was genau bin ich? Auf dem Papier ist es klar, aber als was fühle ich mich? Als Amerikanerin? Chilenin? Schweizerin? Ach ja, ich spreche Hochdeutsch und auf Anhieb denken die Schweizer, dass ich Deutsche bin, dabei habe ich nie in Deutschland gelebt. Ehrlich gesagt fühle ich mich weder als Nord- oder Südamerikanerin, auch nicht als Schweizerin oder Deutsche. Ich kann mit dem ganzen patriotischen Getue nicht viel anfangen. Ich liebe vieles aus den Ländern in denen ich gelebt habe und fühle mich mit diesen Ländern verbunden, aber als was ich mich fühle, kann ich beim besten Willen nicht sagen, weil ich das Gefühl habe überall Ausländerin zu sein.
Ich kann sogar noch weiter zurückgreifen als nur die 50 Jahre meines Lebens. In meinem Stammbaum kommen väterlicherseits die Salzburger Protestanten (Vertriebene) vor. Meine Vorfahren mütterlicherseits wanderte aus Deutschland nach Ungarn aus und meine Mutter wurde als Kleinkind mit meiner Oma und ihren Geschwistern im Zuge einer ethnischen Säuberung nach dem zweiten Weltkrieg in Viehwagen zurück nach Deutschland verfrachtet (Ausgewiesene). Meine andere Oma ist mit meinem Vater und seinen Geschwistern aus Ostpreussen vor den Russen geflohen (Kriegsflüchtlinge). Meine Grosseltern (väterlich- und mütterlicherseits) sind mit ihren Kindern in die USA ausgewandert um sich eine neue Existenz aufzubauen (Wirtschaftsflüchtlinge). Sie hätten auch in Deutschland bleiben können, aber es war nach Kriegsende dort grad nicht so toll.
Wenn Deutschland und später die USA meine Grosseltern nicht aufgenommen hätten, wenn es keine Menschen gegeben hätte, die das Wenige, das sie hatten nicht mit ihnen geteilt hätten … vielleicht gäbe es mich gar nicht. Und auch all die anderen tollen Leute nicht, die aus diesen Familien stammen (darunter Sänger, Politiker, Missionare, Musiker, Pastoren, Ärzte, Künstler, Lehrer, Übersetzer, Fotografen, Grafiker, Professoren u.v.m).
Die Diskussion über Flüchtlinge und Ausländer ist geprägt von der Sorge um unsere Sicherheit, unserem Wohlstand, von Patriotismus … und von ganz viel Angst. Die Angst versteckt sich gekonnt hinter schlauen Argumenten, hinter Statistiken und der Vernunft. Angst führt aber dazu, dass meine Sicherheit wichtiger ist als deine Sicherheit, dass mein Komfort plötzlich schwerer wiegt als deiner und meine Rechte höher zu bewerten sind als deine. Merkt ihr auch, das da sehr viel Ich ist und sehr wenig Du? Wertschätzung, Nächstenliebe und Gastfreundschaft sind an Bedingungen geknüpft und werden nur noch dann gelebt, wenn mein Lebensstandard, meine Sicherheit, mein Wohnbefinden nicht gefährdet sind. Es lohnt sich darüber nachzudenken, ob wir so leben wollen.
Es geht um mehr als um Flüchtlinge und Ausländer. Eigentlich geht es um uns und wie wir leben wollen. Liebe ist immer ein Risiko und manchmal richtig anstrengend.