Es kommt vor, dass ich denke, ich habe genug über dieses leidige Thema geschrieben. Soll ich wirklich wieder etwas über Trennung/Scheidung schreiben? Heute sprach mich jemand an und dankte mir für meine Blogartikel über Trennung/Scheidung, da sie für ihren Umgang mit den Menschen, die von diesen Situationen betroffen sind daraus lernt. Also trete ich mutig die Flucht nach vorne an und veröffentliche diesen Artikel, der schon länger bei mir schlummert.
„Ich hoffe, dass die beiden wieder zusammen kommen. Nur schon wegen der Vorbildfunktion.“ Dieser Satz eines Bekannten über ein getrenntes Ehepaar geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und innerlich wehre ich mich dagegen, denn was ist wichtiger: die Vorbildfunktion oder die beiden Personen, die von der Trennung betroffenen sind? Oder anders gesagt: Geht es darum Ehen zu retten oder Menschen zu retten? (Ja, so kann man das auch formulieren und dabei möchte ich auf keinen Fall die Ehe abwerten, aber auch nicht über den Menschen stellen.)
Kürzlich dachte zurück an die Zeit in der ich mich für oder gegen meine Ehe entscheiden musste. Was war das schwierig! Es war keine Entscheidung zwischen gut und schlecht, sondern zwischen schlecht und schlechter. Ich musste herausfinden, welche Variante mir überhaupt Luft zum Atmen gab.
Und dann diese Erwartung noch ein Vorbild sein zu müssen. Das kann einem die restliche Luft grad auch noch nehmen.
Was erwarten wir von einem Vorbild? Dass wir uns verhalten, wie es der christliche Verhaltenskodex vorschreibt? Dass der (christliche) Schein gewahrt wird? Dass wir, die Aussenstehenden, nicht enttäuscht werden? Wenn dem so ist, befinden sich unsere Erwartungen an Vorbildern ganz weit weg von dem, was uns die Bibel erzählt. Dort finden wir Geschichte um Geschichte von Menschen, die sich Sachen geleistet haben, die man in der Gegenwart von Minderjährigen gar nicht laut aussprechen will. Interessanterweise stehen diese Menschen bei Gott recht hoch im Kurs (horch, horch), also diejenigen, die ehrlich zu ihrem Versagen gestanden sind. Und, wenn ich das noch anfügen darf: von Gott gebraucht werden alle, ob sie nun zu ihrem Scheitern stehen oder nicht. Der ehrliche Umgang mit Scheitern und daher auch das Scheitern selbst scheinen bei Gott keine grossen Wellen zu schlagen. Unser Richten und Urteilen, das Polieren vom äusseren Schein, das Heucheln ist eine ganz andere Sache. Das kommt bei Gott gar nicht gut an. (Das kann man alles nachlesen.*) Gott schaut also auf das Herz. Wer von uns kann das von sich behaupten?
Wir könnten eine gescheiterte Ehe auch als ein ehrliches Zugeständnis sehen.
Wir könnten den Kampf einer Person würdigen, die bereit ist zuzugeben: Meine Ehe ist krank, ich gehe in dieser Beziehung kaputt (und das zuzugeben, braucht viel Mut und Kraft).
Wir könnten die Stimme hören, die sagt: Ich will euch nicht länger etwas vorspielen, ich stehe dazu, dass meine Ehe nicht mehr lebbar ist.
Wir könnten selber bereit sein ehrlich zuzugeben, dass wir nicht wirklich wissen, was ein getrenntes Paar alles durchgemacht hat, weil wir noch nie in ihren Mokassins gelaufen sind.
Wir könnten darin ein Vorbild sehen, dass mit Gott ein Neuanfang gewagt wird.
Wir könnten uns dazu entscheiden, diesem Vorbild zu folgen und mehr auf unser Sein zu achten als auf unseren Schein. Darum geht es doch letztlich, oder?
*In der Bibel, z.B. in der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner (Lukas 18)