„Hat er diese Dummheit machen müssen, nur damit ich daran lerne und wachse? – Ist das die Entschuldigung für sein Verhalten?“
Die Verzweiflung meiner Freundin war gross. Sie war durch das Verhalten ihres Mannes tief verletzt worden und rang mit den vielen Gefühlen, die einem in so einem Moment durchfluten und die man versucht zu sortieren und zu verstehen. Ich wollte helfen, trösten, hatte aber keine spontane Antwort auf ihre Frage, die mich noch jahrelang beschäftigen sollte. (Und überhaupt, was weiss ich schon?)
Der Wortlaut dieser Frage ändert sich je nach Situation immer wieder, aber am Ende stellt sich im Grunde immer die Frage: Müssen wir schlechte Entscheidungen treffen oder müssen andere an uns schuldig werden, bevor wir uns verändern lassen und zu reiferen Persönlichkeiten werden? (Und wo, bitte, ist Gott in all dem drin?)
Die Antwort auf diese Frage ist nein, davon bin ich heute überzeugt. Unsere persönliche Entwicklung hängt nicht vom Verhalten anderer Menschen ab. Die Entschuldigung für ihre schlechten Entscheidungen liegt nicht darin, dass wir dadurch zu besseren Menschen werden.
Wir können jedoch davon profitieren, da wir alle früher oder später in unserem Leben mit Dingen konfrontiert werden, die uns herausfordern über uns selbst hinauszuwachsen – unser Charakter wird geschliffen, wir werden vor die Wahl gestellt, aus unseren Prinzipien und nicht aus verletzten Gefühlen heraus auf Brüskierungen zu reagieren. Dadurch werden wir barmherziger und gnädiger, wir wachsen in die Tiefe, machen Platz für Neues.
Diese Herausforderung kann durch eine Person oder durch Umstände eintreten, die wir nicht kontrollieren können: Naturkatastrophen, menschliches Versagen, Ablehnung oder schlichte Gemeinheit und die Unreife anderer Menschen. Manche von uns kämpfen mit inneren Dämonen, Verprägungen, falsche Denkmuster.
In dieser Frage geht es viel weniger darum wer Schuld ist (mal ehrlich, was habe ich davon, wenn ich das weiss, ausser dass ich noch selbstgerechter werde), sondern viel mehr um meine Reaktion darauf. Ob und wie ich mich diesen Herausforderungen stelle, ist mir selbst überlassen und auch meine alleinige Verantwortung.
Den Schmerz von Verrat oder Verlust zu erleben, wird entweder etwas Positives oder etwas Negatives ins uns hervorbringen – etwas wird es auf jeden Fall hervorbringen und ohne Entscheidung für das Positive wird das Negative schnell die Oberhand gewinnen. Diese Entscheidung ist ganz und gar unabhängig davon wer an der ganzen Misere Schuld ist.
Das scheint nicht immer fair zu sein, aber wer sagt, dass das Leben fair ist? Ist es nicht. Das Leben ist das Leben: unfair, kompliziert, chaotisch, verwirrend, laut und manchmal leise, vergebend, zart, herrlich und wunderschön. Dafür – das Leben in der ganzen Fülle zu erleben – entscheide ich mich jeden Tag neu.
(In diesen Gedanken geht es nicht um unser Verhalten in einer Situation in der wir Missbrauch erleben.)