Sie schüttete ihr Herz aus – ich hörte nur zu. Und es kam alles raus. Der ganze Frust der letzten 25 Jahre über Tiefschläge, Krankheit, Enttäuschungen, gekündigte Freundschaften, das Alleinsein, ihr Fehlverhalten, es immer kurz vor dem Ziel doch nicht zu schaffen, das Krampfen und die Studienschulden. Und sie stellte die Frage: Warum das alles? Ist es das Böse, dass mich lahmlegen will? Ist es Gott, der aus mir einen besseren Menschen machen will? Liegt es an mir und meinem ganz persönlichem Versagen? Ich hatte keine Antwort auf ihre Fragen und zum Glück erwartete sie auch keine.
Ich habe echt keine Ahnung, warum das Leben manchmal so scheisse ist. Es kann alles sein. Das Böse, das Gute, ich oder der Lauf der Dinge in der Welt. Schlechtes, Unfälle, Natur- und andere Katastrophen passieren. Menschen werden krank und sterben. Das ist eine Tatsache. Und wir fragen uns warum.
Als Teenager hörte ich einige Referate und Predigten über diese Thema und immer war das Fazit: Frage nicht warum, frage wozu. Ich habe das nie verstanden. Ich verstehe es heute nach 30 Jahren immer noch nicht. In all den Schwierigkeiten, die mir im Leben bisher begegnet sind, hat mir die Frage nach dem Wozu nicht geholfen. Was mich hingegen immer beschäftigt hat, war die Frage nach dem Wo: Wo finde ich Kraft für einen weiteren Tag? Wo finde ich Halt, wenn alles Bach ab geht?
Ich glaube an „The Force“; die Macht, die alles hält und erhält. Die manches zulässt und anderes verhindert. Die alles weiss und alles kann, aber nicht immer alles tut, was ich mir wünsche. Im Gegensatz zu mir hat „The Force“ den Überblick und entgegen unserer leisen Vermutung schliesslich doch alles im Griff. Ich muss oft ganz still werden, um zu erkennen, dass „The Force“ da ist, weil sie sich nicht aufdrängt. Auch in meinen tiefsten Momenten war „The Force“ die beschützende Hand, das letzte Rettungsseil, der feste Anker meiner Seele, der sicherste Ort für meine Zweifel und Fragen.
Auf den Wortschwall der Enttäuschung meiner Freundin sagte ich nur einen Satz: „Es ist sehr gut, dass du das alles gesagt hast.“ Sie wandte ein: „Nun, ich würde sagen es ist OK, dass ich dass alles gesagt habe.“ Aber ich war hartnäckig: „Nein, ich bestehe auf die Formulierung ‚sehr gut‘, weil es deine Gefühle sind und warum solltest du nicht zu deinen Gefühlen stehen und sie ausdrücken dürfen?“ In unserem verdrehten Denken meinen wir besonders geistlich zu sein, wenn wir so tun, als würden wir uns nie über das aufregen, was Gott zulässt. (Gott wundert sich wahrscheinlich sehr darüber warum wir uns solche Mühe geben ihm gegenüber nicht zu unseren wahren Gefühlen zu stehen.)
Zwei Tage später rief mich diese Freundin wieder an und sagte: „Du hast auf meine Tirade über Gott und das Leben das Beste gesagt, was du hättest sagen können.“
Und ich war einfach nur froh, dass manchmal überhaupt was aus meinem Mund gekommen war.