Vor ein paar Monaten las ich in einer christlichen Familienzeitschrift einen Artikel darüber, wie man seinen Freunden, die eine Trennung oder Scheidung erleben, zur Seite stehen kann und auch was man als Aussenstehender, der sich richtig verhalten möchte, vermeiden sollte. Es war ein guter Artikel und ich wünschte, ich hätte diesen tollen Artikel geschrieben. Dabei fing ich wieder an über meine Erlebnisse nachzudenken. Ich bin kein Experte in Sachen Beziehung, Trennung und Scheidung. Ich greife nur auf meine eigenen Erfahrungen zurück und versuche Einblicke zu geben, damit wir miteinander gnädiger umgehen und weniger schnell urteilen. Mir liegt dieses Thema auf dem Herzen, weil ich sehr schöne, aber auch sehr schwierige Begegnungen erlebt habe. Wer weiss nämlich schon, wie er reagieren soll, wenn man die Nachricht bekommt, dass sich Freunde trennen!
Ich habe es sehr geschätzt – und schätze es immer noch – wenn meine Entscheidung zur Trennung und später zur Scheidung respektiert wird. Obwohl die Trennung damals sehr plötzlich kam, gab es eine jahrelange Vorgeschichte. Das ist vermutlich bei den meisten Paaren der Fall. Bei uns fingen die Vertrauensmissbräuche schon bald nach der Hochzeit an. Ich hatte nach zehn Jahren einfach keine Kraft mehr aus dem Nichts wieder Vertrauen hervor zu zaubern. Für mich war nach zehn Jahren Ehe, zwei Jahren begleiteten Gespräche und zwei weiteren Jahren, die ich brauchte, um mich zu einer Scheidung durchzuringen, der Punkt erreicht, wo es um das Überleben meiner Seele ging. Bei manchen geht der Prozess schneller, bei manchen, wie bei mir, länger. Aber immer gibt es einen grossen Teil der Geschichte, den Aussenstehende nicht mitbekommen.
Während meine Ehe offiziell am Scheitern war, fühlte ich mich sehr verwundbar und verletzlich. Alles war am Wanken. Mein Vertrauen in die Institution Ehe, in Gott, in mich und auch in die Männer stand auf wackeligen Füssen. Wenn mir Menschen dann mitten in dieser emotional herausfordernden Zeit sagten, dass sie hinter mir standen – wohlgemerkt ohne die ganze Geschichte zu kennen und ohne, dass ich mich für meine Entscheidungen rechtfertigen musste – gaben sie mir etwas zurück, was mir langsam, aber sicher abhanden kam: Vertrauen und Wert. Das war für meine seelische Gesundheit sehr wichtig.
Was mich im Gegenzug sehr befremdete, waren Menschen, die mich nach den Gründen für die Trennung/Scheidung ausfragten, obwohl sie mir nicht besonders nahe standen. (Leider kam das auch vor. Es gibt besonders in den christlich-frommen Kreisen auf diesem Gebiet noch Lernpotenzial.) Ich musste lernen zu meinem Schutz eine Grenze zu ziehen und dazu zu stehen. Erst kürzlich legte ich mir eine Antwort zurecht, falls ich wieder mit einer grenzüberschreitenden Frage konfrontiert werde; weil, ja, es passiert heute noch. Manche wollten von mir hören, wie schlecht es den Kindern ging, seit ihr Vater nicht mehr bei uns wohnt… Das hat mich noch mehr deprimiert, als ich es ohnehin schon war und zeugt von ganz wenig Gottvertrauen.
Mit guten Freunden redete ich über meine Situation, aber ich wollte mit meinen Freunden keine Therapiestunde und auch keine schlauen Ratschläge. Ich wollte sein. Ich wollte die Freiheit haben zu reden, wenn mir drum war und wollte nicht reden müssen, nur weil jemand über alles informiert sein wollte. Da mich die Beratungen sehr viel Energie kosteten, brauchte ich Zeiten in denen ich mich erholen konnte. Da haben mir Freunde gut getan, die mit mir ins Kino gingen, mich mit oder ohne Kinder in die Ferien mitnahmen, meine Kinder ein paar Stunden lang betreuten, Blumen vorbeibrachten oder mich auf ein Bier einluden (ja, das kam auch vor!). Die Unterstützung in praktischen Dingen, wie schwere Gartenarbeit, die Reparatur vom Treppengeländer, das Auto für die Motorfahrzeugprüfung vorzubereiten, die verstopften Abflüsse durchzuspülen, kann ich gar nicht genug betonen. In den Zeiten meiner grössten seelischen Belastung trugen diese Freunde mit ihrer praktischen Hilfe zu meiner Entlastung bei. Und wie das geholfen hat!
Ich fühlte mich oft als Aussenseiterin. Ich war als Geschiedene in meinem Umfeld auf weiter Flur allein. Ausserdem trug das Wort Scheidung für mich ein gewisses Stigma: Ich gehöre zu denen, die es nicht geschafft haben. Alle wissen über mein Scheitern Bescheid, aber ich weiss nichts über sie und über ihr Scheitern (Scheitern tun wir nämlich alle) und das ist ein grosses Ungleichgewicht und manchmal schwierig zu (er)tragen. Was hat mir geholfen? Zu spüren, dass ich nicht auf mein Scheitern und auf die Scheidung reduziert werde. Freundlichkeiten in Form von einem Lächeln, einem Kompliment, einer Umarmung oder einem offenen Gespräch schätze ich seither sehr. Ich bin nämlich mehr als mein Scheitern. Jawohl.
Im Grunde hat mir meine Scheidung wieder neu vor Augen geführt, wie wertvoll jeder einzelne Mensch ist. Die, die sich trennen genauso wie die, die noch zusammen sind. Die, die verlassen werden und die, die schon immer allein waren. Wir alle sind wertvoll. Und wir alle verdienen es als wertvolle und kostbare Menschen behandelt zu werden.
Liebe Sonja,
vielen Dank für deine ehrlichen Worte. Ich kann sie zu 200 % mitempfinden. Ich bin ja auch eine „offiziell“ Gescheiterte und es war der schwerste Weg meines Lebens und hat mich wirklich alles gekostet.
Ja, solche Situationen sind für alle eine Herausforderung, weil es die scheinbar makellose Fassade, die wir meist an anderen zu sehen glauben, in Trümmer legt.
Wenn man durch so eine Zeit geht, ist man überrascht wie viele „gestandene“ Menschen mit so einer menschlichen Krise überfordert sind. Und man staunt auch über die Reife, Herzenswärme und Güte so manch anderer Menschen, von denen man es vielleicht gar nicht immer erwartet hat.
So ein Zerbruch geht durch Mark und Bein! Und heute, 5 Jahre später, staune ich immer wieder, welche innere Heilung und Wiederherstellung möglich ist. Diese Perspektive hätte ich mir in meinem Scheitern damals niemals gewagt zu erhoffen.
Und WOW… was für ein Geschenk!
An alle Gescheiterten da draußen, und alle Scheiternden: Der Zerbruch ist so schmerzhaft, dass tut mir so von Herzen leid. Ich wünsche euch allen Mut und jede Kraft zur tiefen Ehrlichkeit mit euch selbst und anderen, einen Heilungsprozess der NICHTS auslässt (Wut, Zorn, Trauer, Vergebung, Frieden) und eine Wiederherstellung eures Herzens von der ihr nicht zu hoffen träumt!
Danke Sonja, für deine Ermutigung!
LG aus Wien
Wow, Miriam, das sind starke Worte. Danke!!! (big hug)
Finde sehr Hilfreich dein Blog!!
Danke für deine Offenheit!!
Danke für die Ermutigung!