Bilder im Kopf

Nach dem Zähneputzen kam Sven wieder ins Wohnzimmer, wo ich auf dem Sofa wartete, seufzte und sagte: „Ich wünsche, ich könnte wieder als Baby anfangen. Es gibt so etwas Schlimmes in meinem Leben“.

Er war zu diesem Zeitpunkt erst 10 und ich war auf alles gefasst, aber das was dann kam, hatte ich nicht erwartet.

„Ich habe wieder diese Bilder im Kopf von den Horrorfilmen, die meine Kollegen während der Pause auf ihren iPods oder Handys schauen und mir zeigen. Ich werde sie nicht los und ich kann deswegen nicht einschlafen und habe nachts Angst.“

Ich holte ihn zu mir auf’s Sofa und nahm ihn in den Arm. Mein Herz war schwer, weil ich wusste, dass es nur der Anfang war. Es wird in seinen Teenagerjahren nicht besser werden und wenn ich ihn schon jetzt nicht von diesen Dingen beschützen kann, werde ich es später noch weniger können. Und ich war wütend über eine Industrie, die eine Generation heran zieht, die leidet, weil sie Bilder im Kopf hat, die sie nicht los wird. Und diese Bilder sind alles andere als gut. Sie verletzen und machen kaputt. Sie schüchtern ein und pflanzen Angst.

Da ich ihn nicht vor diesen Dingen beschützen kann, muss ich ihm beibringen mit diesen Bildern und Eindrücken so umzugehen, dass sie ihre Kraft verlieren und möglichst wenig Schaden anrichten. Zuerst lobte ich seine Ehrlichkeit und dass er seinen Männerstolz überwunden hatte, mir davon zu erzählen. Das ist immer der erste Schritt und schon dadurch verliert das Dunkle seine Kraft. Und dann sagte ich ihm, dass er mit diesen Dingen immer zu mir kommen könne. Immer. Die Tür ist immer offen. Ich werde die Last mit ihm tragen, ihm zuhören und dann werden wir Gott alles vor die Füsse werfen, weil dieser Gott auch Gedanken heilen kann. Er verspricht ein neues Leben – und das war es doch, was Sven wollte: einen Neuanfang.

Rückerstattung

Ein Gastartikel von einem guten Freund, der vielen von meinen Lesern bekannt ist:


 

Wieder einmal schwebe ich im Landeanflug auf Zürich über die Dächer der Häuser. Wie so oft frage ich mich was hinter den Türen und Fenstern dieser Häuser gerade vor sich geht. Familien die lachen, einsame Menschen, Menschen die trauen, kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen, verzweifelte Menschen…?

Erst kürzlich bekam ich die Nachricht von einer Familie die in großer Not ist und zu zerbrechen droht. Ich fühle mich zurückversetzt in mein eigenes Scheitern und durchlebe innerlich die schmerzvollen Stunden noch einmal.

Dabei hatte ich doch gerade erst von Hoffnung gelesen, von einem Gott, der uns das, was wir verloren haben, doppelt erstattet: „Kehrt zurück zur befestigten Stadt, ihr Gefangenen, eure Hoffnung wird nicht enttäuscht. Heute verheiße ich, dass ich euch doppelten Ersatz geben werde.“ Sacharja 9,12

Kann das angesichts des vielfältigen Leides und Zerbruchs wahr sein? Ist das möglich, wenn man seinen Partner durch Tod oder Scheidung verloren hat? Gilt das für Menschen, die durch ihre Behinderung aufs bitterste isoliert und in den eigenen vier Wänden „eingesperrt“ leben?

Während ich darüber nachdenke, schiessen mir die Geschichten von Hiob oder David durch den Kopf. Hiob bekam eine Hiobsbotschaft (daher kommt der Begriff) nach der anderen und verlor alles was er hatte. Seine Frau meinte, er solle doch Gott verfluchen und sterben. Hiob weigerte sich das zu tun. Kurze Zeit später stellte Gott Hiob wieder vollkommen her und gab ihm doppelt so viel als er zuvor hatte (Hiob 42,10).

Nachdem bei David das erste Kind starb, welches er mit Bathseba hatte, beendete David seine Trauerzeit und fing an Gott anzubeten, weil er an die Gnade Gottes glaubte. Später segnete Gott David und Bathseba mit einem weiteren Sohn, der zum reichsten und weisesten König wurde, der je auf dieser Welt lebte.

Und ich fange an zu ahnen und zu glauben, dass es dieser gütige Gott auch mit meinem Leben gut meint und mich mit mehr beschenken möchte als ich zu hoffen wage. Vielleicht nicht unbedingt im Sinn von Quantität, sondern mehr von Qualität. Möglicherweise aber sogar beides.

– Joachim Schmid