Nicht allein

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund habe ich manchmal oder sogar recht oft das Gefühl, ich sei allein in dem was ich erlebe.

Niemand ist so allein wie ich.

Niemand fühlt sich so überfordert wie ich.

Niemand fühlt sich so unsicher wie ich.

Niemand ist so verletzt wie ich.

Niemand hat so ein gebrochenes Herz wie ich.

Niemand hat so schlimme Schicksalsschläge erlebt wie ich. (Ja genau, manche sogar noch schlimmere…!)

Dieser Niemand ist ein armer Tropf.

Auch wenn Niemand genau das erlebt hat, was ich erlebt habe und so ein Leben hat wie ich, teilen wir dennoch sehr viele Gefühle und Empfindungen und ja, auch Erlebnisse in den verschiedensten Schattierungen.

Man muss nicht Single, Verwitwet oder Geschieden sein, um Einsamkeit zu kennen. Man muss nicht alleinerziehend sein, um sich überfordert zu fühlen. Man muss nicht entwurzelt sein, um sich unsicher zu fühlen.

Kurz nachdem mein erster Mann, Stefan, gestorben war, wurde mir bewusst, wie viele Frauen auf der Welt diese Trauer, diesen Schmerz des Verlustes kennen. Ich fühlte mich in meiner Situation auf sonderbare Art und Weise mit diesen Frauen verbunden. Ich kenne sie nicht, aber wir kennen denselben Schmerz, dieselbe Trauer, die Bodenlosigkeit, die Verzweiflung, die Suche nach einem neuen Leben und Sinn. Es hat mich getröstet, zu wissen, dass es ganz viele Frauen gibt, die mich verstehen und genau wissen, was ich durchmache. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so allein.

Ich bin nicht allein.

Wir sind nicht allein.

Und ausserdem… aber das spar ich mir für später auf, zuerst geniessen wir jetzt nämlich unsere Ferien.

Das Personal

Das Personal ist auch nicht mehr das, was es mal war. Nehmen wir nur mal heute unseren Alltag unter die Lupe:

Zuerst hat es meine Sekretärin versäumt, mich über den heutigen Schulausflug von Sven zu informieren. Mein Sohn hätte nämlich schon um 7.50 h in der Schule sein sollen und nicht erst um 8.15 h wie üblich. Zum Glück hat die Lehrerin um 7.55 h angerufen und nachdem Kristina und ich (also vor allem ich), wie ein kopfloses Huhn herumgerannt bin, in der Hoffnung das Info-Blatt doch noch zu finden… also Sven hat es grad noch geschafft die Klasse auf ihrem Marsch zur Tramhaltestelle einzuholen (mit nichts als Brot und Wasser im Rucksack, aber immerhin, er war dabei). Aber ich bin mir noch nicht sicher, ob die Sekretärin bleiben darf.

Und dann erst die Köchin! Sagte sie hätte so viel Arbeit und tischte uns doch sage und schreibe Ravioli aus der Dose auf! (Ganz unter uns, das habe ich zum ersten und letzten Mal gegessen und den Kindern hat es auch nicht sonderlich geschmeckt.) Der frische Blattsalat hingegen war sehr gut, also geben wir ihr noch eine Chance.

Was die Putzfrau bei uns macht, ist mir nicht ganz klar. Was sie nicht macht, ist allerdings deutlich zu sehen: Stroh und Heu (die Kinder haben am Wochenende im Stroh auf einem Bauernhof geschlafen) haben sich inzwischen in jedem Winkel unserer Wohnung verkrochen, die Krümmel haben sich unter dem Esstisch verkrümelt und das Badezimmer, das Badezimmer (!) da fang ich erst gar nicht an, weil – das wollt ihr nicht wissen. Ich vermute mal, dass es der lieben Putzfrau auch nicht mehr ganz wohl ist. Ich habe sie nämlich am Sonntag dabei erwischt, wie sie den Küchenboden geputzt hat. Wo das doch ihr freier Tag ist! Und inzwischen habe ich das Bad selber geputzt.

Die Fitness-Trainerin lässt sich seit längerem nicht mehr blicken. Vermutlich war ich zu langsam beim Joggen.

Und das Kindermädchen gab am Abend kleinlaut zu, dass sie keine Ahnung habe, wo sich meine Tochter aufhielt, als wir essen wollten.

Über die nette Dame, die unsere Wäsche besorgt, habe ich allerdings nur Gutes zu berichten. Die behalten wir ganz sicher. Irgendwie schafft sie es in diesem Chaos ihre Arbeit regelmässig und ruhig zu verrichten. Erstaunlich. Über die Skijacken, die seit letzten Winter darauf warten, gewaschen zu werden, schaue ich grosszügig hinweg. Ich bin ja nicht so und gutes Personal ist ja so schwer zu finden.

Vom Regen zum Segen

Die Predigt vom Sonntag hat mich an folgendes Erlebnis erinnert:

Meine Töchter haben am Auffahrtswochenende mit ihrer christlichen Pfadfindergruppe (Royal Rangers) gezeltet. Als wir am Morgen ihrer Abreise am Frühstückstisch sassen, erwähnte ich, dass sie ihre Gummistiefel mitnehmen sollten, da es sehr wahrscheinlich regnen würde, aber bis das Frühstücksgeschirr im Geschirrspüler, die Nutella im Küchenschrank, die Wanderschuhe an den Füssen, das Gepäck (Rucksack, Schlafmätteli und Schlafsack) und die Kinder im Auto waren, war der Gedanke an die Gummistiefel weit, weit weg.

Als es dann schon in der ersten Nacht wie aus Kübeln goss, wachte ich auf und ärgerte mich grün und blau. Warum haben wir vergessen die Gummistiefel einzupacken? Da hätte doch wirklich jemand daran denken können, meiner Meinung nach natürlich die Kinder, da ich ja schon überhaupt an die Gummistiefel gedacht habe! Aber nein, es läuft wie so oft: ich sage was, keiner reagiert drauf – und nachher bin ich schuld! Das kennen wir doch inzwischen.

Ich ärgerte mich so vor mich hin, bis ich merkte, dass die Chancen wieder einzuschlafen durch meinen Ärger verschwindend klein geworden waren. Und überhaupt, was würde mein Ärger daran ändern? Erraten: gar nichts. Also musste eine Strategie her. Ich hörte dem Regen zu und dachte daran, wie ich oft bei Regen betet: Gott, schicke deinen Segen, wie diesen Regen, der vom Himmel herunter strömt und alles, aber auch alles durchtränkt. Lass deinen Segen genauso auf unser Leben strömen, damit wir dich sehen,  hören,  spüren,  erleben, völlig durchtränkt werden von allem, was von dir kommt. (Das kann nur gut sein!) Also legte ich los: Gott, lass deinen Segen, wie diesen Regen, auf meine Mädchen hinab strömen, damit sie eine gute Zeit erleben und trotz nassen Füssen das Wesentliche nicht aus dem Blick verlieren, damit sie Freundschaften schliessen und Freundlichkeit erleben, damit sie lernen, was Hilfsbereitschaft ist und was es bedeutet dich und andere zu lieben, damit sie erleben, wie du ihnen begegnest und sie sehen, wie du bist, usw.

Der Regen wurde zum Segen, mein Ärger verwandelte sich in Ruhe und mit diesen friedvollen Gedanken schlief ich bald ein.

P.S. Das Predigtthema von Joachim Schmid im Christlichen Zentrum Silbern vom Sonntag, den 15. September 2013 war „Sieg in den Gedanken“. Die Predigt ist unter www.czs.ch/gottesdienste/predigtarchiv zu hören.

Vom Knabenschiessen zur Hausfrau

Vor einigen Jahren fragten mich die Kinder warum der Zürcher Feiertag Knabenschiessen „Knabenschiessen“ heisst und irgendwie kamen wir auf die Bedeutung und Wertschätzung der Frau in der Gesellschaft zu sprechen. Dass Frauen weniger wert sein sollten als Männer, war ihnen ein völlig fremdes Konzept – halleluja! Ich erklärte, dass Frauen früher keine wichtigen Arbeiten und Berufe ausüben durften, worauf sie ganz entrüstet entgegneten: Aber Haushalt ist wichtig! Touché. Sie merken also doch, was ich den ganzen lieben langen Tag mache.

Als (Haus) Frau und als ihre Mutter bin ich dafür verantwortlich, dass ein grosser Teil ihres Lebens in geregelten Bahnen abläuft, dass es bei uns sauber und aufgeräumt ist (zugegeben, das mit dem ‚aufgeräumt’ ist immer wieder eine grosse Herausforderung), dass sie zu geregelten Zeiten gesunde Mahlzeiten zu sich nehmen, dass ihre Wäsche gewaschen wird, dass sie, trotz allen Protesten, zu vernünftigen Zeiten Schlafen gehen usw., und auch, dass sie langsam lernen dazu beizutragen, um es später selbst umsetzen zu können. Was für eine wichtige, wertvolle und (trotz aller damit verbundenen Arbeit) schöne und sehr praktische Aufgabe wir als Mütter und Hausfrauen haben. (Und das ist nur ein Teil unserer Aufgabe.) Wir investieren in die Zukunft!

Ich bin weit weg von der perfekten Hausfrau. Ich habe schon immer meine Nase lieber in ein Buch gesteckt als in die Küche. Manchmal sammeln sich die Staubmäuse glücklich und zufrieden in den Ecken, gelegentlich geht ein Gericht völlig daneben, so dass ich niemandem mein Essen zumuten will und es kommt vor, dass die ungebügelte Wäsche sich wie der schiefe Turm von Pisa in die Höhe reckt. Gerade deshalb denke ich voller Stolz und Dankbarkeit an den Moment zurück, als mir meine Mutter sagte: „Sonja, du bist trotz allem eine ganz gute Hausfrau geworden.“ Danke, Mom.

The Richest Girl in Town

Und da wir schon vom Geld und Luxus reden, noch dies:

Als ich diesen Sommer mit meinen beiden Mädchen, eine auf jeder Seite, durch die Strassen von Oerlikon schlenderte, war ich einfach nur stolz. Stolz auf meine beiden Töchter, die so mutig und stark durchs Leben gehen und so wunderbare Menschen sind. Und ich war froh. Froh, dass ich sie beide so sehr mag und so gerne mit ihnen zusammen bin.

Von diesen Schätzen umgeben, fühlte ich mich, wie die reichste Frau in Zürich. (Und das bin ich, glaub, wirklich!)

Vom Luxus ohne Sorgen zu leben

Das E-Mail von meinem Ex-Mann war kurz gefasst und die Botschaft schon nach dem „Betreff: Zahlungsunfähig“ klar:

„Da mein Arbeitgeber leider zur Zeit Zahlungsunfähig ist, werden die Löhne nicht ausgezahlt. … Das tut mir sehr leid.“

Ja super! Zu den Sorgen um Svens Rücken wollten sich gleich noch die Sorgen ums Geld gesellen.

Theoretisch weiss ich ja, dass meine Sorgen nicht helfen. Meine Sorgen ändern rein gar nichts an der Situation, weder zum Guten noch zum Schlechten. Wobei das so nicht ganz stimmt: Mir geht es immer schlechter, wenn ich mir Sorgen mache. Aber das mit dem Sorgen geschieht immer ganz von allein. Ich habe mir selber noch nie sagen müssen: So, jetzt mach dir mal darüber Sorgen. Nee, nee, die Sorgen, die kommen ohne Einladung.

Und deshalb, weil ich schon der Sorgen über Svens Rücken müde war, hab ich mir gesagt: Moment mal, hab ich denn nicht einen guten Hirten? (Zur Erinnerung: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Aus der Bibel, Psalm 23 um genau zu sein). Er hat versprochen, dass er sorgt. Bis jetzt hat er gut gesorgt. Wird er jetzt damit aufhören? Lebe ich meinen Glauben oder ist das alles nur frommes Gefasel?

Ich übte mich also im Vertrauen. Immer wenn die Gedanken wieder kreisen wollten, dachte ich daran, wie gut mich Gott in den letzten Jahren versorgt hat. Wir haben immer alles was wir brauchen, nicht immer alles was wir uns wünschen, aber das ist eine andere Geschichte. Wir leben nicht einmal von der Hand in den Mund, sondern schaffen es jeden Monat etwas auf die Seite zu legen. Genau für Zeiten wie jetzt. Wenn das nicht Luxus ist!

Nach besagter E-Mail zahlte ich wie gewohnt meine Rechnungen und sah erst eine Woche später wieder den Kontostand, da ich eine Rechnung vergessen hatte. Komisch, der Kontostand war so hoch, als hätte ich die Alimentenzahlung doch bekommen. Beim näheren hinsehen, stellte ich fest, dass die Alimente tatsächlich bezahlt worden waren. Wow! Damit hatte ich nicht gerechnet und die Sorgen hätten sich definitiv nicht gelohnt. Ohne Sorgen lebe ich im Luxus!

Traurigkeit

Kürzlich fragte mich eine Freundin, wie ich mit dem Alleinsein zurechtkomme. Nun, mal besser, mal schlechter. Vor einigen Wochen sah das dann konkret so aus:

Seit der Trennung vor sieben Jahren und der Scheidung vor zweieinhalb Jahren hat sich Vieles eingependelt und ich habe mich an meine Situation gewöhnt – dachte ich. An meinen kinderfreien Wochenenden wache ich nicht mehr traurig auf, weil die Kinderstimmen fehlen und keiner zu mir ins Bett schlüpft, um zu Kuscheln, bevor wir aufstehen. Ich weine auch nicht mehr auf dem Weg in den Gottesdienst, weil ich alleine unterwegs bin und meine Kinder nicht im Auto mit mir sitzen. Ich esse sogar meistens richtig – ich koche gern etwas für mich, mit Zutaten, die meine Kinder nicht gern haben. Aber an diesem Sonntag war alles anders. Und es hat mich völlig unvorbereitet getroffen.

Ich kam in den Gottesdienst, der nur so von Familien mit ihren Kindern wimmelte. Ich suchte verzweifelt die Leute neben denen ich sonst sitze, jemanden, der nicht gerade mit der ganzen Sippe unterwegs war – und fand niemanden. Ich sass schliesslich neben Leuten, die mir nicht fremd sind, aber die ich auch nicht richtig kenne, aber da war es schon zu spät. Die Traurigkeit so ganz alleine an diesem Sonntag unterwegs zu sein, hatte schon überhand genommen und mich fest im Griff. Es hat mir fast das Herz zerrissen. Ich begrüsste die Menschen, die mir die Hand gaben, stumm, weil ich Angst hatte mit dem ersten Wort in Tränen auszubrechen. Ich überlegte, ob ich nicht einfach wieder nach Hause fahren sollte, aber der Gottesdienst hatte schon angefangen und ich blieb. Die Lieder blieben mir im Hals stecken und erst während der Predigt beruhigte und entspannte ich mich wieder – dachte ich. Beim Rausgehen begegnete mir eine Freundin und fragte, so wie man fragt, wie es mir geht. Ich bekam wieder kein Wort raus und versuchte die Tränen weg zu blinzeln. Sie nahm mich in den Arm und ich heulte los.

Ich wurde im Verlauf vom Tag von weiteren schönen Begegnungen überrascht, aber die Traurigkeit blieb lange haften. Ich ernährte mich von Chips und zwei Scheiben trockenem Brot. Ich würde gerne schreiben, dass ich aktiv wurde und die Traurigkeit vertrieb, aber das tat ich nicht. Ich ging am nächsten Tag meiner Arbeit nach und nachdem ich eine Stunde lang im Garten gejätet und aufgeräumt hatte, spürte ich wieder ein Lied in meinem (aufgeräumten) Herzen. Manchmal genügt es die Traurigkeit zuzulassen und einfach auszuhalten.

„Alles, was auf der Erde geschieht, hat seine von Gott bestimmte Zeit: … weinen und lachen,  … sich umarmen und sich aus der Umarmung lösen, … schweigen und reden.“ Aus der Bibel (Prediger 3,1-8)

In God We Trust

Es ist Ferienzeit und weil die Kinder ständig um mich herum sind, komme ich kaum zum Denken und noch viel weniger zum Schreiben. Deshalb beglücke ich euch mit einem Text, den ich vor langer, langer Zeit geschrieben habe. 2005 um genau zu sein:

Zuerst konnte die Grosse nicht einschlafen, dann hat die Kleine ihre Schmusedecke im Bett verloren, dann hat die Grosse schlecht geträumt, dann klingelte das Telefon…und natürlich war mein Mann an einem geschäftlichen Anlass, also war ich jedes Mal gefragt. Von dem Krimi, den ich schauen wollte, sah ich die ersten zwei Minuten, ein paar losgelöste Szenen in der Mitte und dann die ganzen zwei letzten Minuten. Den Abend, ja schon den Nachmittag, hatte ich mir anders vorgestellt. Die Kinder, d.h. meine Zwei, sowie ein oder zwei Nachbarskinder, spielten vergnügt im Wohnzimmer. Wie sich rausstellte, zu vergnügt: Sie hatten den Reisverschluss vom Sitzsack entdeckt und verwandelten – Styroporkügelchen sei Dank – unser ganz gewöhnliches Wohnzimmer in eine Winterlandschaft. Im sechsten Monat mit unserem dritten Kind schwanger, gehörte Staubsaugen nicht mehr zu meinen Lieblingsbeschäftigungen und der Ärger war gross, die Stimme laut, die Kinder, wie auch ich, ganz und gar nicht mehr vergnügt.

Ich fühlte mich müde und leer. Hatte auch keine Lust mich noch mit geistlichen Dingen zu beschäftigen. Der Weg hin zu Gott schien mir sehr, sehr weit. Da überrascht mich Gott und kommt zu mir. Die letzte Szene im Krimi: Zoom auf eine Dollarnote mit den Worten (rot angestrichen): In God We Trust. Wir vertrauen Gott. Wir setzen unser Vertrauen auf Gott. Und mit diesem Bild, mit diesen Worten, kommt Friede in meine zerzauste Seele. Ich vertraue Gott. Ich baue meine innere Zufriedenheit nicht auf ruhige Nachmittage und ungestörte Abende, nicht auf Kinder ohne Flausen im Kopf, nicht auf das, was um mich herum geschieht, oder auch nicht geschieht, sondern auf Gott. Und Gott lässt sich so schnell nicht erschüttern. Seine Wahrheit, sein Friede ist nicht von dieser Welt. Er übersteigt meinen Verstand, meine Gefühle und die Ruhe, die er gibt, ist unabhängig von dem, was mich umgibt.

Ich muss schmunzeln. Gott weiss genau wie müde und abgekämpft ich bin. Ich bin ihm so wertvoll, dass er auch durch die letzten zwei Minuten eines Krimis zu mir redet.

Mein Ort der Geborgenheit

Heute gibt’s eine kleine Familiengeschichte, eine, die zum „weisst-du-noch-als“-Fundus unserer Familie gehört:

Mitten am Freitagmorgen kam jemand zur Tür herein, den ich nicht erwartete: meine sechsjährige Tochter, Kristina. Sie hatte sich im Kindergarten über das, was sie hätte machen sollen lautstark beschwert, worauf die Lehrerin sie vor die Tür schickte. Kristina überlegte nicht lange, schloss leise die Tür, zog ihre Stiefel und Jacke an, packte ihre Tasche und rannte nach Hause, wo sie sich mit ihrer Kuscheldecke in ihrem Bett verstecken wollte – nur habe ich sie abgefangen, bevor sie es dorthin schaffte.

Was für eine natürliche Art mit den Widerwärtigkeiten des Lebens umzugehen. Rückzug und zwar ein schneller, an den Ort, wo ich mich geborgen weiss.

Kristina wird es noch lernen müssen, sich den schwierigen Situationen zu stellen, eine Strafe abzusitzen und sich wieder mit der Lehrerin zu vertragen. Und doch hat ihre Reaktion zu mir gesprochen.

Wie reagiere ich, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich es mir wünsche? Ja, auch ich muss mich gewissen Situationen stellen, muss mit manchen Menschen klar kommen und Dinge auch mal stehen lassen. Aber habe ich mir die Rückzug-zum-Ort-der-Geborgenheit-Variante auch noch behalten? Dort kann ich meinen Frust ausheulen, die Geschichte aus meiner Perspektive erzählen, muss mich nicht verteidigen und kann so sein und mich so zeigen, wie ich mich fühle.

Gott bietet mir so einen Geborgenheits-Ort an. Er sagt: ich bin deine Burg. Zu mir kannst du laufen, bei mir kannst du dich verstecken. Er sagt auch: Ich breite meine Flügel über dir aus, bis das Unglück an dir vorbeigezogen ist. (Nachzulesen in der Bibel: Psalm 91,1-2; Psalm 18,3; Psalm 57, 2)

I am worried.

Ich mache mir Sorgen. Ich versuche mir schon seit der Nachuntersuchung von Sven im Kinderspital vor ein paar Tagen keine Sorgen zu machen, aber es scheint nicht zu klappen. Heute morgen muss ich mir ehrlich eingestehen: Ich mache mir Sorgen. Und das treibt mir Tränen in die Augen. Ich will wissen, wie sich diese Rückenverkrümmung (eventuell eine Skoliose) auswirken wird. Wird die Erhöhungseinlage im rechten Schuh helfen? Ich weiss nicht, wie ich diese Belastung der Sorgen alleine tragen soll und ob ich das überhaupt kann. Vermutlich sollte ich es gar nicht. Aber im Moment haben mich die Sorgen fest im Griff. Da muss ich jetzt durch. Ich kenn mich aus mit diesen Dingen, die sich so vor mir auftürmen und mich bedrohlich und einschüchternd anstarren. In mir erstirbt jeglicher Mut und jegliche Hoffnung.

Da gibt es nur eins: mein Herz ausschütten und meine Angst und Sorge ehrlich zugeben. Zugeben, dass ich am liebsten vor all dem, was mir Angst macht, weglaufen würde. Fragen stellen, wie: Was soll das jetzt schon wieder? Hab ich nicht schon genug damit zu tun, das ganz normale Leben zu bewältigen? (Und nicht einmal das scheine ich besonders gut zu meistern.) Anschuldigungen anbringen: Warum ich, warum Sven, warum wir?

Plötzlich kommt mir ein Gedanke: Halte fest an der Hoffnung.

Warum nicht? Sorgen hilft nicht. Angst lähmt mich. Anschuldigungen machen mich bitter (und das will ich auf keinen Fall).

Kann ich es annehmen, dass ich nicht auf jede Frage eine Antwort bekommen werde, weil ich mein Vertrauen in den gesetzt habe, dem alles unterworfen ist? Das ist mein Glaube. Kann ich daran festhalten? Ich will.