Den folgenden Text schrieb ich als Reaktion auf die Berichte von Teilnehmern im Best Hope, der Drogenrehabilitation an der mein erster Mann, Stefan, seine Therapie gemacht hatte. Ehrlich gesagt, passt er auch zu mir, auch wenn ich keine ehemalige Drogenabhängige bin, aber eine Ehemalige bin auch – irgendwie.
Seit zwei Jahren bist du clean. Am Anfang war es nur eine kleine, sogar wackelige Entscheidung, aber dein Leben hat eine total andere Richtung eingeschlagen. Es gab Momente, da dachtest du, du würdest es nicht schaffen. Wie lernt man die Realität des Lebens, Schmerz, Verwirrung, Ohnmacht und Wut auszuhalten und nicht einfach zu betäuben? Du hast Wege kennengelernt, hast Heilung erfahren und erlebt, dass Freude auch inmitten von Schmerz zu finden ist. Du hast erfahren, dass du nie alleine unterwegs bist. Und das macht schon ganz viel aus. Aus der ersten Entscheidung, dem Kennenlernen einer neuen Welt und einer neuen Realität wurde der Wunsch nach echter Veränderung, nach einem neuen Lebensstil und das hat dann richtig was gekostet. Dann erst fing die echte Arbeit an. Trotz einigen Rückschlägen hast du erkannt, dass sich etwas, manchmal nur etwas ganz Kleines verändert hat. Da waren Leute, die etwas in dir gesehen haben, was du schon lange aus den Augen und dem Sinn verloren hattest. Du warst diesen Menschen die ganze Mühe wert und wertvoll genug, dass sie sich die Zeit nahmen und es sich Energie kosten liessen, dich auf diesem alles andere als einfachen Weg zu begleiten. Das hat dir Hoffnung gegeben. Vielleicht ist dein Leben doch noch für etwas gut?
Ich habe einen Ehemaligen geheiratet. Er war etwas vom Besten, was mir in meinem Leben je passiert ist. Durch seine nicht so perfekte Kindheit, durch alle erlebten Verletzungen, war er sensibel auf andere Menschen und hat Fassaden schnell durchschaut. Man konnte ihm nichts vormachen. In der Therapie hat er gelernt, wie man lebt ohne sich selbst und andere zu verletzen. Er hat gelernt zu seinen Fehlern zu stehen, zu Kommunizieren und ehrlich und transparent zu sein. Er hat Beziehungen und echte Freundschaften aufgebaut. Er hat gelernt, wie man gesund lebt – innerlich und äusserlich. Davon habe ich enorm profitiert. Wir hatten eine gute und gesunde Beziehung, in der wir fähig wurden Schwierigkeiten, von denen wir nicht verschont blieben, zu konfrontieren und konstruktiv anzugehen.
Ich möchte dir sagen, dass du durch deine Vergangenheit, so kaputt sie auch sein mag und durch deine Gegenwart, so hart sie auch sein mag, einen wertvollen Schatz hast, von welchem du selbst und auch viele andere Menschen in deinem Umfeld noch lange (ein Leben lang) zehren werden. Du wirst es schaffen. Du bekommst in der Therapie wertvolle Werkzeuge, um das Leben hier draussen zu bewältigen. Und, ehrlich gesagt, brauchen wir das alle. Das Leben hier draussen ist auch für uns ziemlich schwierig und jeder hat so seine Art, wie er damit fertig wird. Lass dich nicht täuschen, auch wir, die wir noch nie irgendwelche Drogen genommen haben, haben mit Süchten und Fehlverhalten zu kämpfen. Unsere Süchte sind vielleicht weniger offensichtlich und manchmal weniger körperlich destruktiv, aber im Grunde versuchen wir alle einfach zu überleben und das Leben einigermassen hinzukriegen.
Je nachdem wie eine Sucht oder eine Suche (diese Wörter unterscheiden sich nur durch einen Buchstaben) zum Ausdruck kommt, ist sie mehr oder weniger auffallend. Aber kaum einer von uns ist völlig frei von einer Sucht oder einer Suche. Wir können es nur mehr oder weniger gut verstecken.
Es lohnt sich dranzubleiben, weil du wertvoll bist und ganz viel zu geben hast, einfach durch dein Sein. Du schaffst das! Du bist nicht allein!
Damit melde ich mich kurz ab. Die kleine Familie, die ein neues Zuhause gefunden hat, zieht Ende dieser Woche um. Diese Woche heisst es fertig packen und in ein paar Tagen dann wieder auspacken. Wir freuen uns sehr darauf, aber Sven (inzwischen schon 11 und schon fast so gross wie ich!) hat es passend ausgedrückt, als er mir sagte: „Ich freue mich ziemlich auf unser neues Zuhause, aber ich werde wahrscheinlich heftig weinen, weil wir hier so viele Erinnerungen haben.“