Lebe ich ehrlich oder angstgesteuert?

Nach dem schrecklichen Attentat in den USA, in welchem 9 Mensch ihr Leben – in einer Kirche – genommen wurde, laufen die Emotionen hoch und der Rassenkonflikt wird wieder diskutiert. Ich verfolge diese Diskussionen, die Inputs, die Fragen, das Ringen und etwas springt mir immer wieder ins Auge. Wenn wir mit heiklen Situationen konfrontiert werden, Situationen, die ein Tabu berühren oder ein heikles Thema ansprechen, will sich keiner die Finger verbrennen. Eigentlich wollen wir etwas sagen oder tun, aber weil wir nicht das Falsche sagen wollen, schweigen wir.

Das kommt mir sehr bekannt vor. Im Umgang mit Getrennten/Geschiedenen schwingt oft ein gewisses Mass an Angst mit. Und zwar genau deswegen, weil man nichts falsch machen will. Das ist auch verständlich – wir werden mit einem Zustand konfrontiert, der uns fremd ist und mit welchem wir uns nicht auskennen. Ich verstehe nicht, was Menschen empfinden, die in Lebensumständen sind, die ich nicht kenne. Das ist schwierig. Wie und wo fängt man da nur an, ohne jemanden auf die Füsse zu treten?

Wenn wir uns mit Schweigen zufrieden geben, gibt es ein Problem: Niemandem wird dadurch geholfen. Ist es wirklich das, was wir wollen? Wollen wir wirklich weiterhin schweigen und blind an unseren Auffassungen und festgebildeten und festgefahrenen Meinungen festhalten und in dieser Starre verharren, bis wir oder die anderen … nun, bis wann eigentlich? Wie stellen wir uns das vor? Vermutlich haben wir uns gar nichts vorgestellt. Was auch nicht hilft. Leider.

Diese Fragen lassen sich auf ganz viele Situationen anwenden: Wie begegne ich Menschen, die anders sind, vielleicht mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung leben? Wie gehe ich mit Ausländern/Asylanten um? Wie reagiere ich, wenn Menschen unter Unrecht leiden? Wenn ihre Stimme nicht gehört wird? Wenn eine Scheidung oder Armut zur Ausgrenzung führt?

Mehr als eine Stimme, die sich in den USA erhob, sagte (und das ist mir eingefahren): „Wir müssen keine Angst haben, wir müssen nur EHRLICH sein, Zuhören und Reden.“ Es ist mir eingefahren, weil es sich nicht nur auf den Rassenkonflikt in den USA anwenden lässt, sondern auf unser tägliches Leben.

  • Angst führt zu Beklemmung. Ehrlichkeit lässt mich aufatmen.
  • Angst macht mich misstrauisch. Ehrlichkeit trägt zur Vertrauensbildung bei.
  • Angst führt zu Heuchelei. Ehrlichkeit erlaubt mir mich selbst zu sein.
  • Angst versteckt. Ehrlichkeit deckt auf.
  • Angst verunsichert. Ehrlichkeit zeigt mir woran ich bin.
  • Angst versteckt sich hinter verriegelter Tür. Ehrlichkeit öffnet die Tür für Neues.
  • Angst macht mich einsam. Ehrlichkeit gibt anderen die Möglichkeit mich zu begleiten.
  • Angst sagt: Wir haben kein Problem. Ehrlichkeit sagt: Es gibt ein Problem, wie können wir daran arbeiten?
  • Angst schweigt (und geht kein Risiko ein). Ehrlichkeit fragt nach, hört zu und redet (auch mit dem Risiko, dass sie das Falsche sagt).
  • Angst bringt mich zum Zittern. Ehrlichkeit lässt mich tanzen.

Ehrlichkeit scheint ein guter Lebensstil zu sein, braucht aber Mut. Ich wünsche dir und mir Mut zur Ehrlichkeit. Ehrlichkeit ist eine Entscheidung wert.

Er sieht

Früher war mir die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin peinlich. Ich meine, da wird eine Frau von ein paar Männern, religiösen Männern vor Jesus gezerrt und er soll ein Urteil über sie sprechen. Mann! Schlimmer geht’s kaum. Ich fühlte mich auch schon so an den Pranger gestellt, öffentlich zur Schau gestellt mit meiner Schuld, mit meinem Versagen, mit meiner gescheiterten Ehe. Nicht schön, sag‘ ich euch, gar nicht schön. In so einem Moment wäre ich lieber unsichtbar.

Und das war nur der Anfang. Jesus zieht seinen Finger durch den Sand und spricht die bekannten Worte aus: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ und da wird’s nur noch peinlicher. Ich bin nämlich auch schon so ein Pharisäer gewesen, der da steht und darauf wartet, dass Gott jetzt ein Machtwort spricht und da endlich Ordnung schafft und die Sünde des anderen öffentlich bestätigt. Ich bin also das, was ich gar nicht sein will. Ich bin genau so, wie die Menschen, denen ich dieses Verhalten ankreide. Und auch als diese Figur in der Geschichte will ich lieber unsichtbar sein. Aber die Religiösen machen sich selber unsichtbar. Einer nach dem anderen lässt sein Stein fallen, den er vorbereitend und erwartend hielt und macht sich aus dem Staub. (Es wurde ihnen wohl auch zu peinlich, was ja inzwischen total zum Groove dieser Geschichte passt.)

Und dann ist noch Jesus, dieser erstaunliche Mann und Gott, der so ganz anders ist. Er sieht. Er sieht die Frau. Er sieht ihre Schuld. Er sieht die Männer. Er sieht auch ihre Schuld. Und er urteilt nicht. Weder über die Frau, noch über die anklagenden Männer. Er traut uns zu, dass wir selber erkennen, wo wir schuldig geworden sind. Wir müssen es uns nicht gegenseitig an den Kopf werfen. Wir müssen weder mit Steinen noch mit Urteilen werfen. Wir dürfen uns von ihm sehen lassen.

Und er bleibt auch nicht stumm (wie die Pharisäer), er bezieht mit seinen Worten ganz Stellung. „Frau, wo sind deine Ankläger? Ich verurteile dich auch nicht.“ Er überlässt das Schweigen den anderen, weil Schweigen manchmal lauter redet als Worte. Und Schweigen redet in dieser Geschichte keine schönen Worte, sondern klagt an. Er klagt nicht an. Er stellt wieder her. Und er sieht. Er sieht mit Worten, die wiederherstellen.

Trennungszeit 3

Ich habe mir in den letzten paar Wochen viele Gedanken zu meiner Trennung und Scheidung gemacht (zu diesem Thema ein Seminar besucht und auch Artikel gelesen) und dazu drei Artikel verfasst. Da in meinem Freundeskreis Trennung gerade ein Thema ist, werde ich diese Artikel in den nächsten Wochen posten.

Als sich vor Jahren ein befreundetes Ehepaar getrennt hatte, war mein erster Gedanke: „Er (der Partner, der gegangen war) hat einfach aufgegeben“. Inzwischen, also seit meiner Trennung und Scheidung, reagiere ich auf solche Nachrichten viel differenzierter. Aber wie soll man reagieren, wenn man jahrelang der Meinung war, dass die Wiederherstellung einer Ehe immer möglich ist, wenn man nur will und mit Gottes Hilfe sowie so.

Ich war lange gefangen in meiner idealisierten Vorstellung von Ehe – und vom Glauben. In meiner ersten Ehe, die sehr gut war, musste ich mich auch nicht mit solch schwierigen Fragen rumschlagen (und das sage ich mit einem Augenzwinkern, denn); mein Mann war zwar am Sterben, aber unsere Beziehung war bis zum Schluss intakt. Unsere Ehe war tief, liebevoll, nicht ohne Schwierigkeiten, aber echt und echt gut. Ich bin inzwischen der Meinung, dass die Menschen, die nur eine gute Ehe kennen nicht wirklich oder kaum verstehen können, warum eine Ehe zerbrechen kann. Oder warum ein Mensch an seiner Ehe zerbrechen kann. Oder warum man am Ideal zerbrechen kann.

Inzwischen weiss ich, dass solche Dinge passieren können und passieren werden. Und ich habe gelernt es stehen zu lassen. Ich muss nicht alles zurecht rücken. Ich muss nicht tausend super gut gemeinte Ratschläge weitergeben. Ich kann lieben. Ich kann die betroffenen Personen wertschätzen. Ich kann auch meinen Mund halten, anstatt zu richten. Ich muss nicht urteilen, auch nicht durch mein Schweigen.

Folgendes Zitat habe ich irgendwo gelesen oder gehört, weiss aber leider nicht mehr wo:

„There are situations you can’t fix. You can just be there for someone. And sometimes that can be a lot harder than doing something.“

Also: „Es gibt Probleme, die man nicht lösen kann. Man kann nur für die betroffenen Menschen dasein. Und manchmal ist das viel schwieriger als etwas zu tun.“