Das sind wir alle

Alice: „Glaubst du, ich habe den Verstand verloren?“

Vater: „Ich fürchte, ja. Du bist übergeschnappt, hast eine Meise, bist nicht ganz bei Sinnen. Aber weißt du was? Das macht die Besten aus!“ (Alice im Wunderland)

 

Kürzlich im Supermarkt meines Vertrauens.

Eine Mutter: Zucchetti haben wir gern; suchen wir eine kleinere Packung.

Ihr Teenager-Sohn: Gell, ich bin immer noch psychisch krank?

Ich (nur in Gedanken): „Mein Lieber, vielleicht bist du noch psychisch krank, aber weisst du was? Das macht gar nichts. Wir haben alle irgendwo einen Sprung in der Schüssel. Einige verstecken es einfach etwas besser als andere.

Das Leben ist manchmal sehr hart und brutal. Was uns im Leben begegnet und womit wir fertig werden müssen, können wir selten steuern oder kontrollieren. Manchmal müssen wir lernen mit einer Not zu leben. Manchen Menschen gelingt das einigermassen, anderen gelingt es gar nicht und sie brauchen Hilfe und Werkzeuge, um überhaupt zu überleben. Das kann eine Klinik sein, ein Medikament oder es können auch andere Menschen sein, die jemanden auffangen und tragen. Aber so ganz alleine gelingt es uns, glaube ich zumindest, nicht wirklich.

Manchmal wird einem alles zu viel. Pubertät, Entscheidungen, Beziehungen, Familie, Schicksale. Das Leben ist nicht einfach und wird auch mit dem Alter nicht wirklich einfacher. Manchmal findet man nicht mehr alleine aus dem Nebel heraus. Manche Menschen verdrängen oder betäuben die Not, was aber langfristig nicht hilfreich ist. Oft sind die „kranken“ Menschen diejenigen, die auf das reagieren, was in der Welt krank ist. Sie sind „zu sensibel“. Es ist auch wirklich schwierig eine Not oder einen Schmerz auszuhalten und kann uns krank machen.

Vor allem aber brauchen wir einander. Wir können einander den Rücken stärken und einander in Verständnis begegnen. Wir können die Messlatte etwas tiefer ansetzen und Menschen Raum zum Atmen geben, Fesseln lösen und vermitteln: Ich seh dich. Du bist gut genug. Du bist wertvoll. Du bist geliebt. Ich mag dich.“

Am liebsten hätte ich den Jungen umarmt, aber das macht man hier nicht so und ich bin für so etwas auch viel zu schüchtern. Aber im Herzen hab ich ihn ganz fest gedrückt.

Alice: „Glaubst du, ich habe den Verstand verloren?“

Vater: „Ich fürchte, ja. Du bist übergeschnappt, hast eine Meise, bist nicht ganz bei Sinnen. Aber weißt du was? Das macht die Besten aus!“ (Alice im Wunderland)

Meine Eltern

Es war eigentlich ganz unspektakulär und harmlos.

Sven hatte sich spontan Spargeln gewünscht und weil wir zwei zum Essen allein waren und er erst seit kurzem überhaupt Spargel isst, erfüllte ich ihm doch gerne diesen Wunsch. Also schwang ich mich auf mein Fahrrad und fuhr die kurze Strecke zum Supermarkt. Dabei musste ich auf halben Weg wieder umkehren, da ich meinen Schlüssel vergessen hatte und ich diesem Quartier, so gern ich es habe, nicht traue, wenn es um ein nicht abgeschlossenes Fahrrad geht. Ich durfte das Fahrrad erst vor kurzem von einer Freundin übernehmen und wollte das Schicksal nicht herausfordern.

Ich schnappte mir also einen Bund Spargel, noch einen Salat und Vanille-Jogurt für die Kinder, die keine Fruchtstücken in ihrem Jogurt mögen (woher haben die das nur?) und stand mit gefühlten 50 Leuten an der Kasse. Es dauerte. Also fing ich an die Leute vor mir zu beobachten: eine Frau, etwas jünger als ich, in Begleitung eines älteren Ehepaars, vermutlich ihre Eltern. Sie redeten ganz vertraut auf Italienisch mit einander und ich verstand nur ganz wenig. Endlich waren sie dran und die Frau hatte bereits ihr Portemonnaie in der Hand. Der ältere Herr nahm sein Portemonnaie ebenfalls in die Hand und sagte etwas, was ich nicht verstand. Die Frau schüttelte mit dem Kopf und auch ohne Italienisch zu verstehen, wusste ich sofort, was da los war. Er wollte den Einkauf bezahlen, aber sie bestand darauf selber zu zahlen. Stattdessen drückte sie ihm die Einkaufstüte in die Hand und es war klar, dass er den Einkauf darin einpacken sollte. Es gab noch ein kleines Hin und Her bevor er sein Portemonnaie wieder einsteckte. Und plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, schossen mir die Tränen in die Augen. Diese Situation an der Kasse mit den Eltern war mir so vertraut. Und sie fehlen mir, meine Eltern.

Vor mir spielte sich etwas ab, was die Liebe der Eltern für mich einen Moment lang sichtbar werden liess: Ein Vater, der seiner längst erwachsenen und vermutlich gut verdienenden Tochter den Einkauf bezahlten wollte. Und ich vermisste meine Eltern, die das so oft getan hatten, wobei es mir in jenem Moment gar nicht darum ging, dass jemand meinen Einkauf bezahlt, sondern einfach um das Herz und den sichtbaren Ausdruck der Elternliebe. Ich vermisste meinen Vater, der, wenn meine Eltern uns besuchten, so oft früh morgens in diesem Supermarkt Gipfeli zum Frühstück gekauft hat, meine Mutter, die immer so fein für uns gekocht hat, egal, ob in ihrer oder meiner Küche.

Mein Vater kann keine Gipfeli mehr für uns kaufen. Sein Kopf ist so voller „Honig“*, dass da alles etwas durcheinander geraten ist. Meine Mutter kocht jetzt noch für uns, wenn wir auf Besuch sind (und erfüllt meinen Kindern viele Wünsche…Shopping in Amerika, muss man dazu noch was sagen?). Und wenn wir uns sehen, ob dort in Amerika oder auf FaceTime, spüre ich ganz deutlich diese Liebe, zu mir, ihrer Tochter, zu meinen Kindern, ihren Enkeln. Honig hin oder her, die Liebe ist da und sie ist spürbar, sie ist tief in meinem Herzen. Und meine Mutter ist eine Heldin, wie sie den Alltag meistert und sich ein frohes, zuversichtliches Herz bewahrt. So will ich auch alt werden. Und ja nicht knauserig werden mit der Liebe.

Ich konnte die Tränen an der Kasse gerade noch zurück halten, aber als ich wieder bei meinem Fahrrad stand, schluchzte ich laut los. Manchmal erwischt es einen eiskalt.

*“Honig im Kopf“ ein unterhaltsamer und berührender Film von Til Schweiger, der sich mit dem Thema Alzheimer auseinandersetzt; sehr empfehlenswert.

Über das Wort Sch…

Über das Wort Scheisse oder warum Scheisse manchmal das Wort der Stunde ist

Ich muss sagen, dass ich dieses Wort höchst selten ausspreche. Ich würde sogar behaupten, dass ich es noch nie vor den Kindern gesagt habe. Und zwar nicht weil ich per se gegen dieses Wort bin, sondern weil ich für einen guten und gegen einen übermässigen und übertriebenen Gebrauch eines jeden Wortes bin. Ausserdem, wenn sich meine Kinder dieses Wort angewöhnen und ständig gebrauchen würden, was sie täten, wäre ich ständig von Sch… umgeben, was ich, ganz ehrlich, nicht so toll fände.

Trotzdem bin ich ganz und gar nicht gegen dieses Wort, vor allem wenn es richtig und mit Gewicht eingesetzt.

Zum Beispiel letzten Herbst als ich erfuhr, dass der Ex mit seiner Freundin Schluss gemacht hatte, aus der Wohnung gezogen war und folglich, bis er eine neue Wohnung hatte, die Kinder jedes zweite Wochenende nicht mehr mit ihm verbringen würden, was sich schliesslich bis Weihnachten hinzog.

Mit drei Kindern im Alter von 10, 13 und 15 bin ich froh, dass ich jedes zweite Wochenende einen ganzen Tag voll und ganz abschalten kann. Irgendwie tut mir das gut. Da ich sonst immer 24/7, wie die Amis so schön sagen, auf Draht bin, finde ich einen Tag an jedem zweiten Wochenende nicht übertrieben. Ich bin manchmal einfach müde und froh, dass ich mal zwischen durch kein Mittagessen auf den Tisch stellen muss.

Aber zurück zu unserem Thema. Ich erzählte das alles einer Freundin und ihr entfuhr ein ehrliches „Sh..!“ (die englische Version), was ich in dem Moment total geschätzt habe. Ich fühlte mich wahrgenommen, ernst genommen und es hat mich getröstet.

Manchmal muss man die Dinge beim Namen nennen.

Eine Geschichte über ein Wohnungswunder

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen.

Es war einmal eine kleine Familie, eine Mutter mit drei Kindern (wobei eine Familie mit drei Kindern heutzutage praktisch als Grossfamilie gilt). Sie wohnten seit 15 Jahren in einer schönen Nachbarschaft am Rand einer Grossstadt. Ihr Reihenhäuschen war sehr klein, aber sehr gemütlich und sie fühlten sich in ihrem Quartier sehr wohl.

Eines Tages erfuhren sie, dass sie umziehen mussten. Es hiess, die Reihenhäuser müssten einem Neubau weichen. Die Verwaltung fing an einige grosse Bäume zu fällen und die Kinder waren traurig, weil es nicht mehr wie ihre geliebte Siedlung aussah.

Nach einigen Monaten fingen die Leute an auszuziehen. Die leeren Wohnungen wurden an Studenten-WGs vermietet und es liefen in der Siedlung viele Leute herum, die man nicht mehr kannte (und die manchmal um 3 h morgens noch laute Feste feierten). An einem kalten Wintertag wurde der Neubau mit langen Pfeilern abgesteckt und die Menschen, die an der Strasse vorbeigingen, blieben stehen und schauten sich an, was da kommen würde. Es wurde in der Siedlung immer ungemütlicher und obwohl die Familie traurig war, dass sie umziehen musste, war sie auch langsam dazu bereit.

Die kleine Familie wusste nicht genau wo und wie sie ein neues Zuhause finden sollte. Die Kinder wollten gerne jedes ein eigenes Schlafzimmer haben, da bis jetzt immer zwei Kinder ein Schlafzimmer teilen mussten. Die Mutter wollte vor allem eine bezahlbare Wohnung. Und alle zusammen wollten sie gerne im Quartier bleiben, da sie dort verwurzelt waren.

Überall wo die Mutter telefonierte, hiess es, es gäbe keine freien Wohnungen und auch keine Wartelisten. Das war sehr deprimierend.

Die Mutter war immer im Gespräch mit Menschen und auch mit Gott. Die Menschen sagten ihr: Du musst anrufen und wieder anrufen, E-mails schreiben und vorbei gehen, Druck machen, deine Situation schildern, alle Gründe vorbringen.

Gott sagte ihr: Ich kämpfe für dich, du musst nur ruhig sein.

Es war nicht einfach das Richtige zu tun und die Mutter führte mit Gott sehr intensive Gespräche. Sie schrieb im Zeitraum von einem Jahr genau zwei Bewerbungen.

Als die Mutter eines Tages erfuhr, dass ihre Nachbarn eine Wohnung bekommen hatten, die sie gerne wollte, war sie sehr traurig und wütend und klagte Gott an. Aber nach den Tränen sie fand wieder zur Ruhe zurück, zu der Gewissheit, dass Gott für sie kämpfen und sorgen würde. Sie konnte sich nur nicht vorstellen, wie er das machen würde.

Mitte März wurde der Familie eine bezahlbare 5,5 Zi-Wohnung in der Nachbarsiedlung angeboten. Viele Freunde und Bekannte, die dort wohnten, hatten bei der zuständigen Verwaltung angerufen und hatten für diese Familie ein gutes Wort eingelegt. Jetzt wusste die kleine Familie, wie Gott es angestellt hatte – er hatte andere Menschen gebraucht und daraus ein Wunder gemacht.

Die Familie ist nun überglücklich, dass sie Mitte August im Quartier umziehen können und vor allem freut sich das mittlere Kind auf ein eigenes Zimmer.

Nachtrag: Ich danke allen, die sich im Gebet und auch ganz praktisch für uns eingesetzt haben. Es ist für mich ein Wunder, dass wir eine Wohnung gefunden haben. Danke, dass ihr euch gebrauchen habt lassen!! Es ermutigt mich, mich für andere einsetzen, damit noch viel mehr Wunder geschehen.

Es braucht so wenig

Der Tag fing nicht so besonders an. Ich war anderthalb Stunden vor dem Wecker wach und döste so halb vor mich hin bis ich aufstehen musste und dann begrüssten mich Berge von Wäsche, die sortiert, gewaschen und zum Trocknen aufgehängt werden mussten. (Übrigens wurde mir von einer schlauen App auf meinem Smartphone kürzlich bestätigt, dass ich an so einem Waschtag zwei Km – die Treppen hoch und runter – laufe.) Das Bügelbrett stand immer noch im Wohnzimmer rum, weil ich bereits zweimal vergessen hatte die Aufbügel-Flicken für Svens Hosen zu kaufen und ich nicht alles verräumen wollte, nur um es gleich darauf wieder aufstellen zu müssen.

Ich hatte immerhin etwas Ruhe und Zeit für mich, aber dann ging’s plötzlich los. Eine laute Diskussion mit Kristina, ob sie jetzt mit dem Bus oder mit dem Fahrrad in die Schule fährt, ob und wann sie das Bus-Abo kaufen solle, Vorwürfe, dass ich sie nicht verstehe und anscheinend gar nichts kapiere und ich verkroch mich ganz schnell, bevor ich Dinge sagte, die ich noch bereuen würde. Das sieht von Aussen vermutlich sehr nach „ich-lass-mich-durch-nichts-aus-der-Ruhe-bringen“ aus, aber in mir drin bin ich ganz klein und zerknirscht und frage mich, was meiner Tochter den so urplötzlich über die Leber gelaufen ist; sie war doch gar nicht so schlecht drauf und überhaupt, warum muss ich das alles immer ausbaden?!? So behandelt zu werden ist eh gemein und ungerecht, und soll sie ihr Pausenbrot doch in Zukunft selber schmieren, wenn sie es sich leisten kann mich so fertig zu machen. Und zur Zahnreinigung soll sie doch auch gleich selber gehen, sie ist doch kein Baby mehr, aber nein, ich muss mit – wer versteht schon warum!? Sehen die Kinder den gar nicht, was ich alles für sie mache? Und mir fiel ein, dass sie ein sehr launenhafter Teenager ist und ich manchmal eine launenhafte Mutter bin und, na ja, manchmal kracht es halt.

Aber dann wurde es noch schlimmer. Sven zu wecken, ist nach den Ferien nicht lustig und heute kam er kaum aus dem Bett. Manchmal, wie heute, schafft er es bis aufs Sofa, wo er prompt wieder einschläft. Als ich das Loch in seiner Unterhose sah, meinte ich, er könne sie am Abend gleich wegwerfen. Darauf er: „Sie ist eh etwas klein.“ Ich: „Dann ist es höchste Zeit, du kannst sie gleich jetzt wegwerfen, ich hole dir eine andere aus dem Schrank.“ Daraufhin holte er verzweifelt Luft und sagt: „Mama, du verstehst es einfach nicht.“ Und ich verstand wirklich nichts mehr. Und verzog mich wieder und dachte, was für ein blödes Kind (was nur bedingt besser klingt, als „was für ein verkackter Morgen“).

Nach dieser liebevollen (hust, hust) Behandlung von zwei meiner Kinder fühlte ich mich nicht so toll (das ist möglicherweise leicht untertrieben). Auch wenn ich theoretisch weiss, dass ich vieles richtig mache und sie aus ihrer Launenhaftigkeit oder Müdigkeit so unausstehlich sind, tut es manchmal einfach weh. Und es ist niemand da der mich wieder aufpäppelt, was mir in so einem Moment fehlt, aber heute war es, dank der Zahnreinigung an die ich Kristina begleitet habe (obwohl ich nicht wollte), anders. Die Zahnhygienikerin hatte sich nett mit Kristina unterhalten und als Kristina mal den Mund ausspülen musste, drehte sich die junge Frau zu mir um und sagt: „Sie sind sehr schön angezogen, das wollte ich Ihnen noch sagen. Sie haben das wirklich schön kombiniert.“ Das hat mich glücklich gemacht. Wie wenig es doch manchmal braucht.

(Falls es jemanden interessiert, ich hatte graue Stiefel, verwaschene Jeans und einen dunkelblauen Pulli über eine blau-lila karierte Bluse an. Und ich finde auch, dass diese Kombination gut aussieht und mir steht. Und von nun an will ich mit Komplimenten für andere nicht so knauserig sein, weil, wer weiss, was die für einen Morgen hatten!)

Über Sonntagsfahrer am Mittwochmorgen

Vor mir kriecht ein Aargauer – ja muss denn der so langsam fahren? Ah, er biegt ab, aber jetzt habe ich einen kleinen Transporter vor mir, der auch nicht schneller fährt…jetzt biege ich ab und prompt fahre ich hinter einem St. Galler, der es auch nicht eilig hat und sich vermutlich in der Gegend nicht auskennt.

Heute komme ich besonders langsam vorwärts, dabei wollte ich diesmal nicht zu spät ins Fitness kommen (wie letzte Woche) und bin extra ein paar Minuten früher aus dem Haus, um in Ruhe den festgefrorenen Schnee (der inzwischen geschmolzen und wieder gefroren und daher eher als Eisschicht zu bezeichnen war) von der Windschutzscheibe zu kratzen. Das habe ich geschafft und jetzt kam ich doch nicht richtig vom Fleck.

Auf der letzten Geraden vor meinem Ziel war die Bahn endlich frei und ich schaute kurz auf die Zeit. Ja so was, ich bin super dran – trotz all den Sonntagsfahrern, die am Mittwochmorgen unterwegs waren. Und innerlich höre ich eine klare Stimme, die sagte: Siehst du, ich schaue schon, dass du rechtzeitig an dein Ziel ankommst. Mach’ dir nicht so viele Gedanken über die Autos (oder die Menschen!!), die dich davon abhalten so schnell wie du es möchtest an dein Ziel zu kommen. Ich seh’ das. Ich hab’ immer gleichzeitig dich und das Ziel im Auge und – ich erinnere dich gerne daran – bisher hast du deine Ziele immer rechtzeitig erreicht.

Aha.

Ich bog schwungvoll in den Parkplatz und wurde ganz still. Denn da hat jemand ganz viele Gedanken des Friedens über mir, er kennt meinen Weg und das Ziel, er weiss wie ich’s meine und er lässt mich nicht im Stich.

Ach, wie schön!

Ich joggte mal wieder um den See. Ich wollte eigentlich gar nicht um den See joggen, sondern nur bis zum See, aber als ich hinkam, fand ich es so schön, dass ich dann doch um ihn herum joggte. Meine ersten Worte, als ich zum See kam, waren: „Ach, wie schön!“ Dazu muss ich euch erklären, wie dieser See aussieht. Es ist ein künstlich angelegter See. Das heisst, es ist ein sehr langgezogenes Rechteck. Er ist nicht besonders gross, aber doch speziell, weil auf der einen Seite ein Sandstrand angelegt wurde und auf der anderen Seite Schilf wächst. Es hat viele Enten, ab und zu einen Schwan oder zwei und manchmal sehe ich dort auch einen Reiher. Der wird dann immer besonders herzlich von mir begrüsst. Auf der Schilfseite befindet sich eine sehr grosse Wiese und dann noch ein wenig Wald. Am Waldrand wurden schöne Grillplätze installiert, die im Sommer sehr begehrt sind. Auf der Strandseite stehen grosse Wohnblöcke, die zum Teil noch nicht fertig gebaut sind.

Es ist also nicht einfach schön, wie schön natürlich oder schön unberührt und naturnah, sondern voller Gegensätze. Die eine Seite sehr natürlich und erholsam, weit und grün. Die andere Seite dicht bebaut und grau, Beton und Glas. Trotzdem sind meine ersten Worte, wenn ich dorthin komme, „ach wie schön.“ Und gleich nachdem ich diese Worte ausgesprochen hatte, spürte ich eine Wahrheit aufkeimen. Was ist schön? Ist mein Leben schön? Es ist nicht schön in dem Sinn, dass alles unberührt und naturnah belassen wurde, es hat da auch die eine oder andere Baustelle gegeben. Was aber schliesslich zur Folge hatte, dass Menschen in mein Leben getreten und zu denen Beziehungen entstanden sind, die sonst nicht da wären. Und gerade diese Begegnungen, Beziehungen und Freundschaften machen mein Leben so kostbar und wertvoll – und ja, schön.

Es gibt eine japanische Reparaturmethode für Keramik, in der ein zerbrochenes Tongefäss mit einer Kittmasse geflickt wird, in der Pulvergold oder andere Metalle wie Silber und Platin eingestreut sind. (Es gibt auf Wikipedia einen Artikel dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Kintsugi.) Ein zerbrochenes Gefäss wird so zu einem kostbaren Kunstwerk. Wie eine Tonschale, kann auch ein Leben zerbrechen und wie eine zerbrochene Tonschale können auch die Risse in unserem Leben mit Gold geflickt werden, was uns nur kostbarer macht. Deshalb: Ein Leben, genauer gesagt, dein und mein Leben, kann auch mit einer (oder mehreren) Baustellen schön sein, wie mein See; so schön, dass einem einen Momentlang der Atem stockt und man sich dazu entschliesst doch noch ein Weilchen zu bleiben.

http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Tea_bowl_fixed_in_the_Kintsugi_method.jpg

Er sieht

Früher war mir die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin peinlich. Ich meine, da wird eine Frau von ein paar Männern, religiösen Männern vor Jesus gezerrt und er soll ein Urteil über sie sprechen. Mann! Schlimmer geht’s kaum. Ich fühlte mich auch schon so an den Pranger gestellt, öffentlich zur Schau gestellt mit meiner Schuld, mit meinem Versagen, mit meiner gescheiterten Ehe. Nicht schön, sag‘ ich euch, gar nicht schön. In so einem Moment wäre ich lieber unsichtbar.

Und das war nur der Anfang. Jesus zieht seinen Finger durch den Sand und spricht die bekannten Worte aus: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ und da wird’s nur noch peinlicher. Ich bin nämlich auch schon so ein Pharisäer gewesen, der da steht und darauf wartet, dass Gott jetzt ein Machtwort spricht und da endlich Ordnung schafft und die Sünde des anderen öffentlich bestätigt. Ich bin also das, was ich gar nicht sein will. Ich bin genau so, wie die Menschen, denen ich dieses Verhalten ankreide. Und auch als diese Figur in der Geschichte will ich lieber unsichtbar sein. Aber die Religiösen machen sich selber unsichtbar. Einer nach dem anderen lässt sein Stein fallen, den er vorbereitend und erwartend hielt und macht sich aus dem Staub. (Es wurde ihnen wohl auch zu peinlich, was ja inzwischen total zum Groove dieser Geschichte passt.)

Und dann ist noch Jesus, dieser erstaunliche Mann und Gott, der so ganz anders ist. Er sieht. Er sieht die Frau. Er sieht ihre Schuld. Er sieht die Männer. Er sieht auch ihre Schuld. Und er urteilt nicht. Weder über die Frau, noch über die anklagenden Männer. Er traut uns zu, dass wir selber erkennen, wo wir schuldig geworden sind. Wir müssen es uns nicht gegenseitig an den Kopf werfen. Wir müssen weder mit Steinen noch mit Urteilen werfen. Wir dürfen uns von ihm sehen lassen.

Und er bleibt auch nicht stumm (wie die Pharisäer), er bezieht mit seinen Worten ganz Stellung. „Frau, wo sind deine Ankläger? Ich verurteile dich auch nicht.“ Er überlässt das Schweigen den anderen, weil Schweigen manchmal lauter redet als Worte. Und Schweigen redet in dieser Geschichte keine schönen Worte, sondern klagt an. Er klagt nicht an. Er stellt wieder her. Und er sieht. Er sieht mit Worten, die wiederherstellen.

Veränderungen

Veränderungen sind nicht so mein Ding.

Das macht ein neues Jahr nicht immer einfach und gerade in diesem Jahr kommen ein paar Veränderungen auf mich zu. Als erstes gibt es in unserer Gemeinde Veränderungen: Ab Januar ein neuer Leiter, eine neue Leiterin. Dann für unsere Familie, spätestens ab September: eine neue Wohnung.

Es ist ja nicht so, dass ich mit Veränderungen keine Erfahrung habe: Ich habe in drei Ländern auf verschiedenen Kontinenten gelebt; meine Schulbildung war nacheinander in drei verschiedenen Sprachen; ich bin bisher 16 Mal umgezogen. (Die bald 15 Jahre in der jetzigen Wohnung sind ein richtiger Rekord und haben mir und meiner Seele gut getan.)

Wir wurden ja schon vor Monaten davon informiert, dass es in unserer Gemeinde Veränderungen auf der Leiterebene geben würde, aber jetzt ist es Realität geworden und wie das bei mir so ist, setzt der Trauerprozess erst jetzt ein.

Als wir damals aus Santiago de Chile wegzogen, war ich 14 und sehr tapfer. Meine Geschwister fanden den Gedanken an den Umzug ganz furchtbar, heulten und sagten, sie kämen dann einfach nicht mit, vor allem mein Bruder, der gutaussehend, sportlich, musikalisch, allgemein bekannt und beliebt war. Ich dagegen war nur bei den paar wenigen beliebt, die mich auch kannten. Dafür ging ich das Ganze sehr pragmatisch an, fand, okay, ich kann eh nichts dran ändern, wir ziehen um und das wird schon irgendwie gehen.

Nur, wer dann nach den ersten paar Monaten in der Schweiz heulte, war ich. Mein Bruder hatte (vermutlich durch den Sport) ganz schnell Anschluss (und Anerkennung) gefunden. Bei mir dauerte alles viel länger und erst als es darum ging sich in der Schweiz einzuleben, merkte ich, was mir in Chile alles gefallen hatte und was mir in der Schweiz fehlte.

An diese Zeit musste ich heute wieder denken. Es scheint für mich typisch zu sein, dass ich die Trauer über eine Veränderung erst dann so richtig empfinde, wenn es soweit ist und die Veränderung eingetreten ist. Vorher bin ich voller Hoffnung, dass es schon irgendwie gut gehen wird. Ich sehe die neuen Möglichkeiten, die sich auftun. Aber jetzt, wie damals, bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich das schaffe und überhaupt wollte. Trauer ist eben Trauer und tut weh. Da fehlt einem einen Moment lang die Hoffnung. Das kann man nicht einfach schönreden. Da muss man durch. Die Tränen müssen geheult werden. Die Traurigkeit muss ausgehalten und ausgestanden werden. Sonst ist es keine Trauer.

Und Trauer ist nicht schlecht. Trauer gehört zum Leben – wie Veränderungen auch. Und nicht jede Veränderung führt zu Trauer. Aber Veränderungen beinhalten oft Loslassen und das Loslassen kann dann zu Trauer führen. Und das ist gut so. Es gehört zum Prozess, es gehört zum Leben und darf in meinem Leben auch Raum haben. Wenn ich die Trauer zulasse, kann ich mich für Neues öffnen. Aber so weit bin ich noch nicht ganz. Die Trauer hat mich erst grad eingeholt und ich lasse sie erst mal zu.

Anders als wir es uns vorstellen

In der Adventszeit warten wir. Umgeben von schwierigen Lebensumständen, Krankheit, Not, Krieg, nah und fern, warten wir auf Erlösung.

Auch damals warteten die Juden. Auch auf Erlösung. Erlösung von Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Schmerzen und Leid.

Wann? Wann kommt die versprochene Erlösung? Der Retter? Der König? Der Friede?

Damals warteten sie. Und auch heute warten wir.

Dann – endlich – das Ende des Wartens! Der Engel muss die erschreckten Hirten beruhigen und sagt: „Der Retter – ja, Christus, der Herr – ist heute Nacht in Bethlehem, der Stadt Davids, geboren worden! Und daran könnt ihr ihn erkennen: Ihr werden ein Kind finden…“*

Moment mal… Ein Kind…? Ein Baby…?

Aber wir brauchen einen Retter, einen Messias, einen König, einen Herrscher…einen der die Römer mal so richtig durchschüttelt und die Dinge wieder ins rechte Lot rückt. Überhaupt soll er dann alles wieder richten. Alles wieder so machen, wie es sein soll. So wie wir uns das vorstellen. Natürlich.

Gott…was soll das…? Ein Baby….

So haben sich damals die Juden ihre Erlösung vermutlich nicht vorgestellt. Und ich stelle sie mir heute auch nicht so vor: Der Starke wird schwach, der Allmächtige abhängig, der Grosse ganz klein, der Ewige endlich, der Retter muss sogar beschützt werden. Es ist wie die verkehrte Welt, die ich von meinen Kindern kenne. Und wenn ich nicht bereit bin, selbst wie ein Kind zu werden, verpasse ich noch den ‚wunderbaren Ratgeber, den starken Gott, den ewigen Vater und den Friedensfürst‘.*

*Aus der Bibel.