Der Heilige Geist ist vermutlich doch eine Frau

Vor einem Jahr bekam ich von meiner Schwester ein kleines Heft mit dem Titel: „30 Tage Schreiben“. Für jeden Tag gibt es eine Frage. Am dritten Tag hiess die Frage: Beschreibe die Rolle, die du im täglichen Leben spielst. Ich schrieb:

Ich bin die, die alles macht, an alles denken sollte (und dabei oft die Hälfte vergisst), die alles Wissen sollte (und meistens die Hälfte nicht weiss), die alle antreibt und die Tagesstruktur vorgibt, die für’s Essen sorgt, die Wäsche besorgt und die Kinder zudem noch zu erziehen versucht … . Ich habe das Gefühl, dass ohne mich in unserer Familie gar nichts mehr funktionieren würde (hoffentlich ein Trugschluss, aber ich kenne meine Kinder doch auch ein wenig). Ich bin die, die motiviert, ermutigt, erzieht, wieder alles ins Lot bringt, schlichtet, tröstet, liebt und an mein Herz drückt…und das klingt verdächtig nach den Aufgaben des Heiligen Geistes…

Liebe Freundin meines Ex-Mannes

Heute Abend als die Kinder so fröhlich vom Wochenende mit ihrem Vater und mit dir zurückkamen, war ich von Herzen dankbar, dass es dich gibt.

Ich verstehe, dass es für meine Kinder schwierig ist, jede zwei Wochen ihre Sachen zu packen, aus ihrem gewohnten Umfeld heuausgepflückt zu werden und plötzlich ganz woanders, wo sie eigentlich fremd sind, das Wochenende zu verbringen. Das meine Kinder das tun müssen, tut mir jedes Mal wieder im Herzen weh.

Ich verstehe, dass es für meinen Ex-Mann schwierig ist, seine Kinder nur jedes zweite Wochenende zu sehen, plötzlich in die Kinderwelt eintauchen zu müssen, mit der er inzwischen nicht mehr jeden Tag zu tun hat und sich im zwei-Wochen-Rhythmus auf seine Kinder einzustellen. Es gibt so vieles, was er verpasst und dann soll er plötzlich von null auf hundert ganz für sie da sein. Das ist schwierig.

Ich ahne, wie schwierig es für dich sein muss, die sich plötzlich nicht mehr nur um die eigenen Kinder kümmern muss, sondern auch noch um drei weitere, die du vorher gar nicht kanntest. Sie bringen eine andere Erziehung mit, vielleicht andere Werte und Umgangsformen, andere Gewohnheiten, sind auch nicht bei sich zuhause, benehmen sich mal so mal anders – bringen Vieles mit, das du gar nicht kennen kannst. Deine Beziehung zu meinem Ex-Mann ist nicht nur eine Beziehung zwischen zwei Erwachsenen, nein, da sind auch noch drei (weitere) Kinder im Packet. Das ist nicht einfach.

Und deshalb danke ich dir, dass du dir die Mühe gemacht hast, dich auf meine Kinder einzulassen. Danke, dass du ihnen einen Ort zurecht gemacht hast, der für sie ein Zuhause weg von Zuhause sein kann. Danke, dass du auf sie eingehst und sie fragst, ob sie etwas mögen oder nicht. Danke, dass du mit den Mädchen shoppen gehst. Und meinem Sohn Tipps gibst, wie er besser einschlafen kann. Danke, dass sie in deinem Leben einen Platz haben dürfen. Das tut ihnen gut – und mir auch.

Vor allem, danke ich dir, dass du meinen Ex-Mann unterstützt und er dadurch ein besserer Vater ist. Danke, dass du mit deinem Einsatz dazu beiträgst die Schwere einer Scheidung etwas leichter zu machen.

Mein Jahr fängt an

Es war drei Uhr nachmittags am 2. Januar und schon die dritte Abholfahrt an diesem Tag. In einem Arm hielt ich ein paar Ski fest, unter dem anderen klemmte ich ein Snowboard ein und in einer Hand hielt ich eine grosse Tasche und hoffte, dass die Turnschuhe, die darauf balancierten auch dort bleiben würden. Meine Tochter lief mit einem grossen Koffer, einem Rucksack und einem Skihelm mit baumelnder Skibrille vor mir her. Wir mussten an der Garageneinfahrt zwei Kleinbusse an uns vorbei lassen bevor wir selber die Rampe hinab zu unserem Auto in der Tiefgarage marschieren konnten.

Der Samstag hatte früh angefangen. Um 7 Uhr war ich losgefahren, quer durch die noch dunkle Stadt. Es regnete und kaum war ich im Zentrum streikte mein Navigationsgerät. Mir blieb nichts anderes übrig als den Weg zu erraten, was sich als schwierig erwies, da ich keinen blassen Schimmer hatte, welche Richtung ich einschlagen sollte. Als sich das Navi wieder bequemte mitzumachen, musste ich „bitte wenden“ und war schnell wieder in der richtigen Richtung unterwegs. (Das ist alles nicht wirklich schlimm, aber ich gerate bei solchen Situationen leicht in Panik… .) Mit verkrampften Magen und nach einigen Tränen (weniger wegen der Fahrerei als wegen meiner scheinbaren Unfähigkeit das Leben als Alleinerziehende gut zu meistern) kam ich nach einer Stunde im Lagerhaus an, gerade als es hell wurde. Dort erwartete mich mein Sohn, der sich während dem Lager öfters mal übergeben hatte und deshalb abgeholt werden musste. Diese Aufgabe fiel mir zu, obwohl die Verantwortung für die Kinder meiner Meinung nach beim Ex lag; er sah das wohl anders und – man kann es nicht anders formulieren – hatte mein Mutterherz ausgenutzt. Ich kam mir zumindest ausgenutzt vor. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich den Kürzeren ziehe und meine Pläne ändern muss, weil die Pläne des Ex scheinbar unumstösslich sind – im Gegensatz zu meinen. Das darf ich hoffentlich an dieser Stelle auch mal sagen. Diese Situation ärgerte und beschäftigte mich bereits schon seit dem Abend davor.

Nun gut. Ein paar Stunden später war ich wieder unterwegs, um meine Älteste abzuholen. Ich schaffte es knapp ihren grossen schweren Koffer ins Auto zu hieven und stiess nicht zum ersten Mal an diesem Tag ein Stossgebet zum Himmel: Einen Partner zu haben wäre wirklich, wirklich schön! Gott, meinst du das geht irgendwie???

Und dann, wie ich schon sagte, holte ich das dritte Kind um kurz nach drei ab und stand schwer beladen vor dem Garagentor. Plötzlich winkt uns der Fahrer des zweiten Kleinbusses zu. Es war Jochen, der Götti (Patenonkel) meiner Tochter. Er stieg aus, packte Ski, Snowboard und Koffer in den Minibus und fuhr alles vor unser geparktes Auto. Zack und fertig gejammert. Die Freundlichkeit, die mir in dieser kleinen Geste der praktischen Hilfe entgegenkam, machte mir Mut und berührte mein Herz inmitten der ganzen Bedrückung der letzten Stunden ganz tief. Ich fühlte mich gesehen und getröstet.

Gott wird (immer wieder) Mensch

Wenn wir auch nur ein Bisschen christlich angehaucht sind, wissen wir, dass Weihnachten mit der Menschwerdung Gottes zu tun hat, nämlich als Jesus auf die Erde kam und eine Weile hier lebte. Das ist aber schon sehr lange her und wir können uns fragen, was das alles heute mit uns zu tun hat. Nun, manchmal erleben wir es tatsächlich, dass  Gott uns auch im Hier und Jetzt als Mensch begegnet. Er ist ja allmächtig und kann demzufolge alles, was für uns besonders dann wichtig wird, wenn wir gerade in Not sind. (Das Volk Israel war damals auch sehr in Not, als Gott beim ersten Weihnachten Mensch wurde.) Der Himmel ist für uns sehr weit weg und wir stecken hier auf der Erde fest. Da muss sich Gott schon mal öfter hinunter bücken – und das tut er auch.

Es war vor ein paar Jahren während einem Seminar für unsere Band. Wir sangen zum Anfang einige Lieder und ich fiel in mich zusammen. Schon während der ganzen Hinfahrt konnte ich die Tränen nicht zurückhalten und jetzt ging es weiter. Ich wollte nicht reden. Ich wollte eine Hand, einen Arm um meine Schultern spüren. Ich wollte physisch spüren, dass ich nicht allein war.

Ganz hinten im Raum, an die Wand gelehnt, sass eine Kollegin aus dem Team. Ich kramte meinen ganzen Mut zusammen, setzte mich neben sie und bat sie ihren Arm um mich zu legen. Das tat sie gerne und hielt mich so lange bis der Trost in meine Seele drang und ihr der Arm fast abfiel: Das ist Reich Gottes. Das ist Gottes Trost in menschlicher Form. Das ist Gott mit uns.

Frohe Weihnachten!

Was haben die Seligpreisungen mit mir zu tun?

Gott segnet die, die arm* sind vor Gott

… aber wir wollen uns keine Blösse geben und viel lieber geistliche Riesen sein.

Gott segnet die, die trauern

…aber wir wollen feiern und lieber nicht über das reden, was uns traurig macht.

Gott segnet die Sanftmütigen

…aber wir wollen lieber unsere Meinung sagen und uns selbst verteidigen.

Gott segnet die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten

…aber wir sagen, dass die Menschen in schwierigen Lebenssituationen nur das bekommen, was sie verdient haben.

Gott segnet die Barmherzigen

…aber wir wollen ganz, ganz sicher sein, dass das Gesetz Gottes bis auf’s i-Tüpfelchen eingehalten wird (wo kämen wir denn sonst hin?!).

Gott segnet die, die ein reines Herz haben

…aber für uns muss der äussere Schein unbedingt stimmen.

Gott segnet die, die sich um Frieden bemühen

…aber wir bemühen uns nur um Frieden mit denen, die so denken und handeln wie wir.

Gott segnet die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden

…aber wir werden verfolgt, weil wir unklug sind.

 

Leute, ich muss noch viel lernen.

 

* Was bedeutet dieses ‚arm‘ sein vor Gott? Weil ich das lange nicht verstanden habe, gebe ich euch die Erklärung weiter, die ich verstanden habe: Es bedeutet so zu sein, wie das Volk Israel in Ägypten war, nämlich, versklavt, gefangen, unterdrückt, krank, mittellos, fern von Gottes Absichten für sie als Volk. Man glaubt es kaum, aber denen ist Gott nah. Das waren Gottes Leute. Genau dieses Volk wollte er zu einem sicheren und guten Ort führen. Genau diese Leute wollte er segnen und sie gebrauchen, damit sie anderen Gutes tun könnten und damit andere sehen und erleben, wie er ist. Dieser Gott ist erstaunlich. Sucht sich die Schwachen aus. (Jetzt dürft ihr mal tief durchatmen. Ja, er meint auch dich. Und ich gebe zu, dass ich es selber immer wieder vergesse, dass er mich trotzdem meint, gerade wenn ich mich schwach und nutzlos fühle. Deshalb schreibe ich das alles ja eigentlich, um mich selber daran zu erinnern.)

An Ehemalige

Den folgenden Text schrieb ich als Reaktion auf die Berichte von Teilnehmern im Best Hope, der Drogenrehabilitation an der mein erster Mann, Stefan, seine Therapie gemacht hatte. Ehrlich gesagt, passt er auch zu mir, auch wenn ich keine ehemalige Drogenabhängige bin, aber eine Ehemalige bin auch – irgendwie.

Seit zwei Jahren bist du clean. Am Anfang war es nur eine kleine, sogar wackelige Entscheidung, aber dein Leben hat eine total andere Richtung eingeschlagen. Es gab Momente, da dachtest du, du würdest es nicht schaffen. Wie lernt man die Realität des Lebens, Schmerz, Verwirrung, Ohnmacht und Wut auszuhalten und nicht einfach zu betäuben? Du hast Wege kennengelernt, hast Heilung erfahren und erlebt, dass Freude auch inmitten von Schmerz zu finden ist. Du hast erfahren, dass du nie alleine unterwegs bist. Und das macht schon ganz viel aus. Aus der ersten Entscheidung, dem Kennenlernen einer neuen Welt und einer neuen Realität wurde der Wunsch nach echter Veränderung, nach einem neuen Lebensstil und das hat dann richtig was gekostet. Dann erst fing die echte Arbeit an. Trotz einigen Rückschlägen hast du erkannt, dass sich etwas, manchmal nur etwas ganz Kleines verändert hat. Da waren Leute, die etwas in dir gesehen haben, was du schon lange aus den Augen und dem Sinn verloren hattest. Du warst diesen Menschen die ganze Mühe wert und wertvoll genug, dass sie sich die Zeit nahmen und es sich Energie kosten liessen, dich auf diesem alles andere als einfachen Weg zu begleiten. Das hat dir Hoffnung gegeben. Vielleicht ist dein Leben doch noch für etwas gut?

Ich habe einen Ehemaligen geheiratet. Er war etwas vom Besten, was mir in meinem Leben je passiert ist. Durch seine nicht so perfekte Kindheit, durch alle erlebten Verletzungen, war er sensibel auf andere Menschen und hat Fassaden schnell durchschaut. Man konnte ihm nichts vormachen. In der Therapie hat er gelernt, wie man lebt ohne sich selbst und andere zu verletzen. Er hat gelernt zu seinen Fehlern zu stehen, zu Kommunizieren und ehrlich und transparent zu sein. Er hat Beziehungen und echte Freundschaften aufgebaut. Er hat gelernt, wie man gesund lebt – innerlich und äusserlich. Davon habe ich enorm profitiert. Wir hatten eine gute und gesunde Beziehung, in der wir fähig wurden Schwierigkeiten, von denen wir nicht verschont blieben, zu konfrontieren und konstruktiv anzugehen.

Ich möchte dir sagen, dass du durch deine Vergangenheit, so kaputt sie auch sein mag und durch deine Gegenwart, so hart sie auch sein mag, einen wertvollen Schatz hast, von welchem du selbst und auch viele andere Menschen in deinem Umfeld noch lange (ein Leben lang) zehren werden. Du wirst es schaffen. Du bekommst in der Therapie wertvolle Werkzeuge, um das Leben hier draussen zu bewältigen. Und, ehrlich gesagt, brauchen wir das alle. Das Leben hier draussen ist auch für uns ziemlich schwierig und jeder hat so seine Art, wie er damit fertig wird. Lass dich nicht täuschen, auch wir, die wir noch nie irgendwelche Drogen genommen haben, haben mit Süchten und Fehlverhalten zu kämpfen. Unsere Süchte sind vielleicht weniger offensichtlich und manchmal weniger körperlich destruktiv, aber im Grunde versuchen wir alle einfach zu überleben und das Leben einigermassen hinzukriegen.

Je nachdem wie eine Sucht oder eine Suche (diese Wörter unterscheiden sich nur durch einen Buchstaben) zum Ausdruck kommt, ist sie mehr oder weniger auffallend. Aber kaum einer von uns ist völlig frei von einer Sucht oder einer Suche. Wir können es nur mehr oder weniger gut verstecken.

Es lohnt sich dranzubleiben, weil du wertvoll bist und ganz viel zu geben hast, einfach durch dein Sein. Du schaffst das! Du bist nicht allein!


Damit melde ich mich kurz ab. Die kleine Familie, die ein neues Zuhause gefunden hat, zieht Ende dieser Woche um. Diese Woche heisst es fertig packen und in ein paar Tagen dann wieder auspacken. Wir freuen uns sehr darauf, aber Sven (inzwischen schon 11 und schon fast so gross wie ich!) hat es passend ausgedrückt, als er mir sagte: „Ich freue mich ziemlich auf unser neues Zuhause, aber ich werde wahrscheinlich heftig weinen, weil wir hier so viele Erinnerungen haben.“

Lebe ich ehrlich oder angstgesteuert?

Nach dem schrecklichen Attentat in den USA, in welchem 9 Mensch ihr Leben – in einer Kirche – genommen wurde, laufen die Emotionen hoch und der Rassenkonflikt wird wieder diskutiert. Ich verfolge diese Diskussionen, die Inputs, die Fragen, das Ringen und etwas springt mir immer wieder ins Auge. Wenn wir mit heiklen Situationen konfrontiert werden, Situationen, die ein Tabu berühren oder ein heikles Thema ansprechen, will sich keiner die Finger verbrennen. Eigentlich wollen wir etwas sagen oder tun, aber weil wir nicht das Falsche sagen wollen, schweigen wir.

Das kommt mir sehr bekannt vor. Im Umgang mit Getrennten/Geschiedenen schwingt oft ein gewisses Mass an Angst mit. Und zwar genau deswegen, weil man nichts falsch machen will. Das ist auch verständlich – wir werden mit einem Zustand konfrontiert, der uns fremd ist und mit welchem wir uns nicht auskennen. Ich verstehe nicht, was Menschen empfinden, die in Lebensumständen sind, die ich nicht kenne. Das ist schwierig. Wie und wo fängt man da nur an, ohne jemanden auf die Füsse zu treten?

Wenn wir uns mit Schweigen zufrieden geben, gibt es ein Problem: Niemandem wird dadurch geholfen. Ist es wirklich das, was wir wollen? Wollen wir wirklich weiterhin schweigen und blind an unseren Auffassungen und festgebildeten und festgefahrenen Meinungen festhalten und in dieser Starre verharren, bis wir oder die anderen … nun, bis wann eigentlich? Wie stellen wir uns das vor? Vermutlich haben wir uns gar nichts vorgestellt. Was auch nicht hilft. Leider.

Diese Fragen lassen sich auf ganz viele Situationen anwenden: Wie begegne ich Menschen, die anders sind, vielleicht mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung leben? Wie gehe ich mit Ausländern/Asylanten um? Wie reagiere ich, wenn Menschen unter Unrecht leiden? Wenn ihre Stimme nicht gehört wird? Wenn eine Scheidung oder Armut zur Ausgrenzung führt?

Mehr als eine Stimme, die sich in den USA erhob, sagte (und das ist mir eingefahren): „Wir müssen keine Angst haben, wir müssen nur EHRLICH sein, Zuhören und Reden.“ Es ist mir eingefahren, weil es sich nicht nur auf den Rassenkonflikt in den USA anwenden lässt, sondern auf unser tägliches Leben.

  • Angst führt zu Beklemmung. Ehrlichkeit lässt mich aufatmen.
  • Angst macht mich misstrauisch. Ehrlichkeit trägt zur Vertrauensbildung bei.
  • Angst führt zu Heuchelei. Ehrlichkeit erlaubt mir mich selbst zu sein.
  • Angst versteckt. Ehrlichkeit deckt auf.
  • Angst verunsichert. Ehrlichkeit zeigt mir woran ich bin.
  • Angst versteckt sich hinter verriegelter Tür. Ehrlichkeit öffnet die Tür für Neues.
  • Angst macht mich einsam. Ehrlichkeit gibt anderen die Möglichkeit mich zu begleiten.
  • Angst sagt: Wir haben kein Problem. Ehrlichkeit sagt: Es gibt ein Problem, wie können wir daran arbeiten?
  • Angst schweigt (und geht kein Risiko ein). Ehrlichkeit fragt nach, hört zu und redet (auch mit dem Risiko, dass sie das Falsche sagt).
  • Angst bringt mich zum Zittern. Ehrlichkeit lässt mich tanzen.

Ehrlichkeit scheint ein guter Lebensstil zu sein, braucht aber Mut. Ich wünsche dir und mir Mut zur Ehrlichkeit. Ehrlichkeit ist eine Entscheidung wert.

Wie auf Adlers Flügeln

Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe. Ich habe euch sicher hierher zu mir gebracht, so wie ein Adler seine Jungen auf seinen Flügeln trägt. (aus der Bibel*)

Wie ein Adler seine Jungen auf seinen Flügeln trägt…Das klingt echt schön, aufregend oder beruhigend, je nachdem, ob einem so ein Flug auf den Flügeln eines Adlers zusagt oder nicht. Aber irgendwie erlebe ich das Leben nicht so.

Das Volk Israel, zu welchem Gott an dieser Stelle spricht, hat den ganzen Auszug aus Ägypten vermutlich auch nicht so erlebt, wie wir heute reisen: Einsteigen, anschnallen, Abflug, in-flight Drinks und was zu knabbern…nein, nein, die Menschen mussten ihre Sachen packen, ihre Häuser verlassen und Mose hinterher marschieren. Sie wurden fast von der ägyptischen Armee eingeholt, hatten ohne Brücke einen See überqueren sollen, mussten weiter marschieren, die Kleinen tragen und die Alten schieben. Sie hatten Hunger und Durst und haben sich nach der einzigen Heimat gesehnt, die sie kannten: Ägypten (der Ort ihrer Versklavung). Nachdem sie 40 (!) Jahre in der Wüste im Kreis gewandert waren, fasst Gott ihren Auszug aus Ägypten mit den Worten zusammen: Ich habe dich wie auf Adlers Flügeln getragen.

Das ist es wohl, was es heisst den Weg zu gehen und das Leben zu leben. Gott trägt uns, aber wir sind diejenigen, die mit zitternden Knien und Herzen vor dem Scheidungsrichter stehen. Diese Momente waren alles andere als einfach. Das Getragensein hatte ich mir anders vorgestellt. Es war ein Kampf, der mich viel Kraft und Energie kostete und ich fühlte die Wunde und den Schmerz, den ich durch meine Entscheidung – so richtig sie war – mir und anderen zufügte. Aber sogar da trug mich Gott, wie ein Adler auf seinen Flügeln…

Als mein Sohn, damals fünf-jährig, von einem Auto angefahren wurde, stand ich zunächst unter Schock. Ich konnte für ihn dasein, mit ihm in der Ambulanz mit Blaulicht ins Kinderspital fahren, für ihn stark sein und ihn beruhigen und trösten. Ich musste die Betreuung der Mädchen organisieren und funktionieren und es hat viel Kraft und Energie gekostet. Auch da trug mich Gott, wie ein Adler auf seinen Flügeln…

Als meine Tochter sich in den Ferien (in Kroatien!) den Zeh gebrochen und aufgeschlitzt hatte und ich sie trösten und beruhigen und über eine Woche lang ertragen musste, war das nicht einfach und hat mir fast den letzten Nerv geraubt. Auch da trug mich Gott, wie ein Adler auf seinen Flügeln…

In den letzten Monaten als ich in der Wohnungssuche Geduld üben musste – und das war nicht immer einfach – auch da trug mich Gott, wie ein Adler auf seinen Flügeln…

Nur weil es sich nicht so anfühlt, wie ein Kurzstreckenflug in der ersten Klasse, heisst es noch nicht, dass Gott uns nicht trägt, wie ein Adler seine Jungen auf seinen Flügeln.

Es gibt Dinge, die werde ich nie verstehen.

*Exodus 19,4

Ein Gebet für mich und dich

Du, ja du, du mit dem Etikett ‚geschieden‘, ja, ich meine dich. Schau nach oben und lass die Tränen laufen. Atme tief ein und wieder aus.

Das Leben geht an dir vorbei, sagst du, denkst du, fühlst du. Keiner, der da ist, keiner, der versteht wie es sich anfühlt nur noch ein Halbes zu sein und trotzdem das Ganze tragen zu müssen, keiner, der dir einen Ehrenplatz anbietet, weil, was hast du schon zu bieten ausser ein Haufen Scherben.

Ich möchte dir heute, hier und jetzt, einen Platz frei machen. Möchte dich sehen, wie du gerade und stolz dein Haupt erhebst und weisst,

ich bin wertvoll

ich bin ganz

ich bin genug

ich bin wunderschön

ich bin stark

Alles wird gut, nicht weil du alles kannst und alles weisst und alles richtig machst. Nein, alles wird gut, weil es einen gibt, der nie aufgibt, der alles hält und sogar und besonders dich hält und erhält.

Der Plan für dein Leben war gut und ist immer noch gut. Der Plan hat sich nicht geändert, es ist auch kein neuer Plan da. Es ist der Plan, der schon immer da war. Ein Plan geprägt von Liebe und Geduld, von Barmherzigkeit und Gnade, ein Plan von einem freundlichen, liebevollen und ja, einem netten Gott. Das passt aber nicht zu all dem, was ich erlebt, erduldet und erlitten habe, schreit dein Herz. Das darf es auch schreien. Das soll es auch schreien. Und wenn es sich dann ausgeschrien hat, soll es ruhig werden, weil einer da ist, der grösser ist als alle Ungerechtigkeit, als alles Versagen, als alles Stolpern. Einer, der an dich glaubt und der immer noch an seinem Plan für dich festhält. Dein Herz weiss es, spürt es. Lass es zu.

Heute bete ich für dich. Dass mit jedem Einatmen ein Stück Würde zurückkommt. Mit jedem Ausatmen ein Stück Scham geht. Dass mit jedem Einatmen Vertrauen zunimmt. Mit jedem Ausatmen Verzweiflung schwindet.

„Du bist geliebt und gewollt. Du bist ein kostbares Kind“ heisst es in einem Lied und das gilt heute, hier und jetzt für dich. Es gilt für immer. Atme es ein.

Es braucht so wenig

Der Tag fing nicht so besonders an. Ich war anderthalb Stunden vor dem Wecker wach und döste so halb vor mich hin bis ich aufstehen musste und dann begrüssten mich Berge von Wäsche, die sortiert, gewaschen und zum Trocknen aufgehängt werden mussten. (Übrigens wurde mir von einer schlauen App auf meinem Smartphone kürzlich bestätigt, dass ich an so einem Waschtag zwei Km – die Treppen hoch und runter – laufe.) Das Bügelbrett stand immer noch im Wohnzimmer rum, weil ich bereits zweimal vergessen hatte die Aufbügel-Flicken für Svens Hosen zu kaufen und ich nicht alles verräumen wollte, nur um es gleich darauf wieder aufstellen zu müssen.

Ich hatte immerhin etwas Ruhe und Zeit für mich, aber dann ging’s plötzlich los. Eine laute Diskussion mit Kristina, ob sie jetzt mit dem Bus oder mit dem Fahrrad in die Schule fährt, ob und wann sie das Bus-Abo kaufen solle, Vorwürfe, dass ich sie nicht verstehe und anscheinend gar nichts kapiere und ich verkroch mich ganz schnell, bevor ich Dinge sagte, die ich noch bereuen würde. Das sieht von Aussen vermutlich sehr nach „ich-lass-mich-durch-nichts-aus-der-Ruhe-bringen“ aus, aber in mir drin bin ich ganz klein und zerknirscht und frage mich, was meiner Tochter den so urplötzlich über die Leber gelaufen ist; sie war doch gar nicht so schlecht drauf und überhaupt, warum muss ich das alles immer ausbaden?!? So behandelt zu werden ist eh gemein und ungerecht, und soll sie ihr Pausenbrot doch in Zukunft selber schmieren, wenn sie es sich leisten kann mich so fertig zu machen. Und zur Zahnreinigung soll sie doch auch gleich selber gehen, sie ist doch kein Baby mehr, aber nein, ich muss mit – wer versteht schon warum!? Sehen die Kinder den gar nicht, was ich alles für sie mache? Und mir fiel ein, dass sie ein sehr launenhafter Teenager ist und ich manchmal eine launenhafte Mutter bin und, na ja, manchmal kracht es halt.

Aber dann wurde es noch schlimmer. Sven zu wecken, ist nach den Ferien nicht lustig und heute kam er kaum aus dem Bett. Manchmal, wie heute, schafft er es bis aufs Sofa, wo er prompt wieder einschläft. Als ich das Loch in seiner Unterhose sah, meinte ich, er könne sie am Abend gleich wegwerfen. Darauf er: „Sie ist eh etwas klein.“ Ich: „Dann ist es höchste Zeit, du kannst sie gleich jetzt wegwerfen, ich hole dir eine andere aus dem Schrank.“ Daraufhin holte er verzweifelt Luft und sagt: „Mama, du verstehst es einfach nicht.“ Und ich verstand wirklich nichts mehr. Und verzog mich wieder und dachte, was für ein blödes Kind (was nur bedingt besser klingt, als „was für ein verkackter Morgen“).

Nach dieser liebevollen (hust, hust) Behandlung von zwei meiner Kinder fühlte ich mich nicht so toll (das ist möglicherweise leicht untertrieben). Auch wenn ich theoretisch weiss, dass ich vieles richtig mache und sie aus ihrer Launenhaftigkeit oder Müdigkeit so unausstehlich sind, tut es manchmal einfach weh. Und es ist niemand da der mich wieder aufpäppelt, was mir in so einem Moment fehlt, aber heute war es, dank der Zahnreinigung an die ich Kristina begleitet habe (obwohl ich nicht wollte), anders. Die Zahnhygienikerin hatte sich nett mit Kristina unterhalten und als Kristina mal den Mund ausspülen musste, drehte sich die junge Frau zu mir um und sagt: „Sie sind sehr schön angezogen, das wollte ich Ihnen noch sagen. Sie haben das wirklich schön kombiniert.“ Das hat mich glücklich gemacht. Wie wenig es doch manchmal braucht.

(Falls es jemanden interessiert, ich hatte graue Stiefel, verwaschene Jeans und einen dunkelblauen Pulli über eine blau-lila karierte Bluse an. Und ich finde auch, dass diese Kombination gut aussieht und mir steht. Und von nun an will ich mit Komplimenten für andere nicht so knauserig sein, weil, wer weiss, was die für einen Morgen hatten!)