Meine Eltern

Es war eigentlich ganz unspektakulär und harmlos.

Sven hatte sich spontan Spargeln gewünscht und weil wir zwei zum Essen allein waren und er erst seit kurzem überhaupt Spargel isst, erfüllte ich ihm doch gerne diesen Wunsch. Also schwang ich mich auf mein Fahrrad und fuhr die kurze Strecke zum Supermarkt. Dabei musste ich auf halben Weg wieder umkehren, da ich meinen Schlüssel vergessen hatte und ich diesem Quartier, so gern ich es habe, nicht traue, wenn es um ein nicht abgeschlossenes Fahrrad geht. Ich durfte das Fahrrad erst vor kurzem von einer Freundin übernehmen und wollte das Schicksal nicht herausfordern.

Ich schnappte mir also einen Bund Spargel, noch einen Salat und Vanille-Jogurt für die Kinder, die keine Fruchtstücken in ihrem Jogurt mögen (woher haben die das nur?) und stand mit gefühlten 50 Leuten an der Kasse. Es dauerte. Also fing ich an die Leute vor mir zu beobachten: eine Frau, etwas jünger als ich, in Begleitung eines älteren Ehepaars, vermutlich ihre Eltern. Sie redeten ganz vertraut auf Italienisch mit einander und ich verstand nur ganz wenig. Endlich waren sie dran und die Frau hatte bereits ihr Portemonnaie in der Hand. Der ältere Herr nahm sein Portemonnaie ebenfalls in die Hand und sagte etwas, was ich nicht verstand. Die Frau schüttelte mit dem Kopf und auch ohne Italienisch zu verstehen, wusste ich sofort, was da los war. Er wollte den Einkauf bezahlen, aber sie bestand darauf selber zu zahlen. Stattdessen drückte sie ihm die Einkaufstüte in die Hand und es war klar, dass er den Einkauf darin einpacken sollte. Es gab noch ein kleines Hin und Her bevor er sein Portemonnaie wieder einsteckte. Und plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, schossen mir die Tränen in die Augen. Diese Situation an der Kasse mit den Eltern war mir so vertraut. Und sie fehlen mir, meine Eltern.

Vor mir spielte sich etwas ab, was die Liebe der Eltern für mich einen Moment lang sichtbar werden liess: Ein Vater, der seiner längst erwachsenen und vermutlich gut verdienenden Tochter den Einkauf bezahlten wollte. Und ich vermisste meine Eltern, die das so oft getan hatten, wobei es mir in jenem Moment gar nicht darum ging, dass jemand meinen Einkauf bezahlt, sondern einfach um das Herz und den sichtbaren Ausdruck der Elternliebe. Ich vermisste meinen Vater, der, wenn meine Eltern uns besuchten, so oft früh morgens in diesem Supermarkt Gipfeli zum Frühstück gekauft hat, meine Mutter, die immer so fein für uns gekocht hat, egal, ob in ihrer oder meiner Küche.

Mein Vater kann keine Gipfeli mehr für uns kaufen. Sein Kopf ist so voller „Honig“*, dass da alles etwas durcheinander geraten ist. Meine Mutter kocht jetzt noch für uns, wenn wir auf Besuch sind (und erfüllt meinen Kindern viele Wünsche…Shopping in Amerika, muss man dazu noch was sagen?). Und wenn wir uns sehen, ob dort in Amerika oder auf FaceTime, spüre ich ganz deutlich diese Liebe, zu mir, ihrer Tochter, zu meinen Kindern, ihren Enkeln. Honig hin oder her, die Liebe ist da und sie ist spürbar, sie ist tief in meinem Herzen. Und meine Mutter ist eine Heldin, wie sie den Alltag meistert und sich ein frohes, zuversichtliches Herz bewahrt. So will ich auch alt werden. Und ja nicht knauserig werden mit der Liebe.

Ich konnte die Tränen an der Kasse gerade noch zurück halten, aber als ich wieder bei meinem Fahrrad stand, schluchzte ich laut los. Manchmal erwischt es einen eiskalt.

*“Honig im Kopf“ ein unterhaltsamer und berührender Film von Til Schweiger, der sich mit dem Thema Alzheimer auseinandersetzt; sehr empfehlenswert.

4 Gedanken zu „Meine Eltern

  1. Liebe Sonja,ich danke dir für dein Schreiben. Ich kann dich so gut verstehen und möchte allen sagen ,geniesst eure Eltern solange ihr sie habt.Auch ich konnte viel von ihnen lernen und sehen.Auch wenn ich als Kind nicht alles so verstehen konnte,muss ich heute sagen dass ich stolz auf meine Eltern bin .Leider ist mein Vater schon verstorben und ich vermisse ihn auch sehr.Mein Mami ist noch da und so kann ich wenigstens sie noch geniessen.Toll und tröstend zu wissen ,ist das wir uns in der Ewigkeit mal alle wieder treffen weden. :-) Liäbs Grüässli , Ruth :-)

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