Ruth Zacharias – eine aussergewöhnliche Frau

Monatsblatt September 2020 für die Taubblinden-Hilfe

Ruth Zacharias – eine aussergewöhnliche Frau

Am 12. August dieses Jahres feierte Ruth Zacharias ihren 80. Geburtstag. Joachim und ich waren zur Geburtstagsfeier von Ruth Zacharias eingeladen. Diese aussergewöhnliche Frau hat trotz ihrer Erblindung und langen Krankheitszeiten Erstaunliches bewegt und davon möchte ich heute erzählen:

Nach ihrer Erblindung mit 10 Jahren wird Ruth Zacharias als Gemeindehelferin ausgebildet und arbeitet als Schriftsetzerin und Korrektorin für Punktschrift in der Blindenbuchdruckerei Wernigerode. Sie sagt als 18-Jährige: «Der Gedanke, dass wirklich jemand taubblind sein könnte und dass ich einem solchen Menschen irgendwann begegnen würde, versetzte mich in Panik.» Zwei Jahre später trifft sie eine volltaubblinde Frau und merkt: Keine Panik, aber das «Wissen darum, dass Taubblindheit andere Massstäbe setzt und höchste Herausforderungen mit sich bringt». Sie wird berufen eine Arbeit für taubblinde Menschen in der DDR aufzubauen. Diese Arbeit fängt in ihrem 12 m2 Wohnraum an. Weder ihre Blindheit noch die Zweifel an ihrer Eignung für diese Arbeit noch lange Krankheitszeiten konnten sie von ihrem Auftrag abhalten. Heute umfasst ihre Arbeit in Radeberg eine Begegnungsstätte, ein Angebot für Beratung und ambulant betreutes Wohnen und einen aussergewöhnlichen, wunderschönen botanischen Blindengarten, den auch Blinde und Taubblinde anhand eines Handlaufs auf rund 22’000 m2 selbstständig begehen, riechen und betasten können.

Woher nimmt Frau Zacharias bis heute die Kraft an ihrem Auftrag festzuhalten? Sie sagt selbst: «Gottes Kraft – das Geheimnis der Schwachheit – und zugleich das Geheimnis der Gnade.» Schwachheit ist für unser Wirken kein Hindernis. Wir können uns jeden Tag von Gnade erfüllen lassen. Gott selbst spricht uns zu:

Meine Gnade ist alles, was du brauchst, denn meine Kraft kommt gerade in der Schwachheit zur vollen Auswirkung.

1.Korintherbrief 12,9

Mein Ort der Geborgenheit (gekürzte Fassung)

Monatsblatt August 2020 für die Taubblinden-Hilfe

Mein Ort der Geborgenheit

Heute erzähle ich eine kleine Familiengeschichte, die mich immer noch zum Schmunzeln bringt:

Mitten an einem Freitagmorgen hörte ich jemanden an der Haustür. Ich erwartete niemanden und war überrascht, meine damals sechsjährige Tochter Kristina, zu sehen. Sie hätte doch im Kindergarten sein sollen. Die Kindergärtnerin hatte sie vor die Tür geschickt, weil sie sich lautstark über etwas beschwert hatte. Vor der Tür überlegte Kristina nicht lange, zog ihre Stiefel und Jacke an, packte ihre Tasche und rannte nach Hause. Dort wollte sie sich mit ihrer Kuscheldecke in ihrem Bett verstecken. Ich entdeckte sie kurz bevor sie im Bett ankam.

Ein schneller Rückzug an den Ort, wo ich mich geborgen weiss, ist eine natürliche Art mit den Widerwärtigkeiten des Lebens umzugehen.

Kristina musste noch lernen, sich den schwierigen Situationen zu stellen, eine Strafe abzusitzen und sich wieder mit der Lehrerin zu vertragen. Und doch hat ihre Reaktion zu mir gesprochen.

Wie reagiere ich, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich es mir wünsche? Wir alle müssen uns gewissen Situationen stellen, mit manchen Menschen klarkommen und Dinge mal stehen lassen können. Aber Kristinas Reaktion war auch nicht so schlecht: An einem sicheren Ort kann ich meinen Frust ausheulen, die Geschichte aus meiner Perspektive erzählen, muss mich nicht verteidigen; ich kann so sein und mich so zeigen, wie ich mich fühle.

Gott bietet mir so einen Geborgenheits-Ort an. Er sagt: Ich bin wie eine Burg. Zu mir kannst du laufen, bei mir kannst du dich verstecken. In den Psalmen steht:

Denn du beschützt mich, wie eine Burg, eine Zuflucht,

wenn ich in Not bin.

Psalm 59,17