Gerechte Schafe

Wie wir wissen, haben die berühmten „letzte Worte“ ein besonderes Gewicht und Jesus erzählt gegen Ende seines Lebens eine erstaunliche Geschichte. Seine Geschichte handelt von einem König, der am Ende der Zeit alle Menschen richtet. Aber nicht jetzt so, wie wir das auf Anhieb denken. Nee, nee, in dieser Geschichte teilt der König die Menschen in zwei Gruppen ein. Die einen sind Schafe, die anderen Ziegen.

Er richtet sich zuerst an die Gruppe der Schafe und sagt: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen; ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert; ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Seht ihr, was der König hier macht? Er identifiziert sich mit dem Bedürftigen, mit dem Ausländer, mit dem Armen, mit dem Kranken, mit dem Verurteilten; kurz gesagt, mit all denen, die auf irgendeiner Ebene im Leben gescheitert sind; mit denen die ganz unten auf der Rangliste stehen, mit denen, von denen wir uns abheben wollen und denken: „Nein, so wie die sind wir nicht und wollten es auch nicht sein“. Aber der Höchste im Land, der Mächtigste, der sagt: „Ich war der Hungrige, ich war der Durstige, ich war der Fremde, ich war der Arme, ich war der Kranke, ich war der Weggesperrte“. Ein König, der sich mit den Schwachen, sogar mit den Schwächsten der Schwachen identifiziert, das ist schon etwas sehr besonderes. Ich weiss nicht, wo uns so ein König je sonst in der Weltgeschichte begegnet.

Die Schafe, die in dieser Geschichte auch Gerechte genannt werden, haben keine Ahnung wovon der König da redet und erwidern: „Wann war denn das? Wir können uns nicht erinnern, dass wir dich je hungrig oder durstig gesehen haben, haben nie bemerkt, dass du ein Fremder oder arm oder krank oder weggesperrt warst“.

Der König gibt gerne Auskunft und sagt ihnen, dass alles, was sie je einem seiner Brüder getan haben – und sei er noch so gering geachtet gewesen – das hätten sie für ihn getan. Wieder diese volle Identifikation mit dem Menschen, der in unseren Augen nicht viel wert ist – und unsere Hilfe vielleicht gar nicht verdient. Das gibt mir zu denken.

Als Christen sagen wir gerne, dass wir so werden wollen wie Jesus. Im (christlichen) Handel findet man Armbänder mit der Aufschrift WWJD (What Would Jesus Do? zu Deutsch: Was würde Jesus tun?) Nun ja, die Antwort liegt nach dieser Geschichte auf der Hand. Jesus würde sich mit dem Geringsten (und von uns so oft Verachtetsten) identifizieren und das was er hat mit ihm teilen. Und ich muss mal tief durchatmen, denn plötzlich bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich das wirklich will…das kostet mich was und klingt nicht nur nach Freude, Frieden, Eierkuchen. Und doch muss es machbar sein, denn die gerechten Schafe scheinen keinen Krampf damit gehabt zu haben. Sie haben einfach jeden Menschen, ungeachtet seiner Herkunft, ungeachtet seines Status, ungeachtet seines Scheiterns, wertgeschätzt und haben seine Not nach ihren Möglichkeiten gelindert.

 

P.S. Ich bin in meinem Text nicht auf die Ziegen eingegangen, aber es ist so: Die Menschen in der Ziegengruppe haben eben nicht geholfen wo Not war. Ihr könnt euch ja denken, dass der König darüber nicht wahnsinnig erfreut war…mehr will ich dazu gar nicht sagen. Wenn ich über die Ziegen geschrieben hätte, müsste der Titel „Gerechte Strafe“ heissen.

Was haben die Seligpreisungen mit mir zu tun?

Gott segnet die, die arm* sind vor Gott

… aber wir wollen uns keine Blösse geben und viel lieber geistliche Riesen sein.

Gott segnet die, die trauern

…aber wir wollen feiern und lieber nicht über das reden, was uns traurig macht.

Gott segnet die Sanftmütigen

…aber wir wollen lieber unsere Meinung sagen und uns selbst verteidigen.

Gott segnet die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten

…aber wir sagen, dass die Menschen in schwierigen Lebenssituationen nur das bekommen, was sie verdient haben.

Gott segnet die Barmherzigen

…aber wir wollen ganz, ganz sicher sein, dass das Gesetz Gottes bis auf’s i-Tüpfelchen eingehalten wird (wo kämen wir denn sonst hin?!).

Gott segnet die, die ein reines Herz haben

…aber für uns muss der äussere Schein unbedingt stimmen.

Gott segnet die, die sich um Frieden bemühen

…aber wir bemühen uns nur um Frieden mit denen, die so denken und handeln wie wir.

Gott segnet die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden

…aber wir werden verfolgt, weil wir unklug sind.

 

Leute, ich muss noch viel lernen.

 

* Was bedeutet dieses ‚arm‘ sein vor Gott? Weil ich das lange nicht verstanden habe, gebe ich euch die Erklärung weiter, die ich verstanden habe: Es bedeutet so zu sein, wie das Volk Israel in Ägypten war, nämlich, versklavt, gefangen, unterdrückt, krank, mittellos, fern von Gottes Absichten für sie als Volk. Man glaubt es kaum, aber denen ist Gott nah. Das waren Gottes Leute. Genau dieses Volk wollte er zu einem sicheren und guten Ort führen. Genau diese Leute wollte er segnen und sie gebrauchen, damit sie anderen Gutes tun könnten und damit andere sehen und erleben, wie er ist. Dieser Gott ist erstaunlich. Sucht sich die Schwachen aus. (Jetzt dürft ihr mal tief durchatmen. Ja, er meint auch dich. Und ich gebe zu, dass ich es selber immer wieder vergesse, dass er mich trotzdem meint, gerade wenn ich mich schwach und nutzlos fühle. Deshalb schreibe ich das alles ja eigentlich, um mich selber daran zu erinnern.)