Deshalb schreibe ich

Vor ein paar Jahren besuchte ich einem Seminartag für Familien, Getrennte, Geschiedene und Verwitwete. Es gab für die verschiedenen Interessengruppen relevante Workshops und packende Referate. Nachdem der Tag vorbei war, musste ich aber folgendes feststellen: Der Workshop, der von einer geschiedenen und wiederverheirateten Frau über Patchworkfamilien gehalten wurde, spielte in einer ganz anderen Liga, als der Workshop für Geschiedene, der von Verheirateten in erster Ehe gehalten wurde. Der Unterschied war so deutlich, dass es für mich als Betroffene fast deprimierend war. (Ich muss hier einschieben, dass ich ein paar Jahren zuvor ein Seminar für Geschiedene/Getrennte besucht hatte, welches von einer alleinstehenden Frau durchgeführt wurde, der sehr gut war. Es ist also nicht so, dass nur direkt betroffene gut über ein bestimmtes Thema reden können.) Trotzdem übertraf die Qualität des Patchwork-Workshops die des Scheidungsworkshops bei weitem. Dabei hatten die lieben Leute vom Scheidungsworkshop garantiert ein grosses Herz für Getrennte/Geschiedene und auch einen Auftrag ihnen zu dienen. Aber der Unterschied bleibt. Und deshalb war es gut und unerlässlich, dass im Scheidungsworkshop einige Geschiedene mitgeholfen haben (was den Workshop schliesslich erträglich machte).

Natürlich wäre es toll, wenn es keine Scheidungen mehr geben würde und wir für diese Lebenssituation kein Verständnis mehr aufbringen müssten. Leider müssen wir aber davon auszugehen, dass die Scheidungsquote in den nächsten Jahren nicht auf null sinken wird. Es wird immer zerrüttete Beziehungen und Familie geben, weil wir im Herzen alles zerrüttete Menschen sind, die zwar ihr Bestes geben, aber oft an ihre Grenzen kommen und Fehler machen.

Meine Lebensträume, Hoffnungen und Zukunft verlor ich bereits im Alter von 27 als mein erster Mann an Aids starb und mit der Scheidung vom meinem Ex starben sie gleich nochmal, mitsamt meinem Image und Ansehen als gute Ehefrau, denn zu einer Scheidung gehören immer zwei, sagt man, obwohl einer allein auch schon ganz viel kaputt machen kann. Was auch immer.

Als ich nach der Scheidung merkte, in welche Schublade Getrennte/Geschiedene oft gesteckt werden (auch und leider oft gerade von gläubigen Menschen), wollte ich Gegensteuer geben, weil mir Gott in den Momenten meines Zerbruchs so anders begegnet ist, als so manch meiner Mitmenschen, der besonders fromm zu sein meinte.

Und wer kann besser über ein Thema oder eine Lebenssituation reden, als jemand, der es selber erlebt hat? Eben. Es hilft ungemein, dass ich beide Seiten kenne: die richtend/urteilende und die leidende. Ich verstehe so manche fromme Reaktion, weil ich früher selber so gedacht und geredet habe. Gleichzeitig verstehe ich jetzt, was es wirklich bedeutet von einer Trennung/Scheidung betroffen zu sein und glaubt mir, es ist kein Zuckerschlecken. Aber das wisst ihr ja schon. Betroffene brauchen niemanden, der ihnen noch einmal sagt, wie schlimm eine Trennung/Scheidung ist – das wissen sie schon. Wir brauchen Menschen, die uns zuhören. Es ist meine Hoffnung, das jeder, der gegenüber getrennten oder geschiedenen Menschen gnädiger und barmherziger werden will, nicht selber eine Trennung/Scheidung erleben muss.

Und deshalb schreibe ich.

Wenn der Schuh nicht mehr passt

So manche Frau hat das schon erlebt. Nach der Schwangerschaft und Geburt kann es passieren, dass ein Schuh nicht mehr passt. Man fragt sich was der schwangere Bauch wohl mit den Füssen zu tun hat – und es gibt dafür vermutlich eine gute Erklärung, aber es erstaunt Frau doch, wenn es passiert. Und so kommt es, dass der Schuh einfach nicht mehr passt. Auch wenn er schön aussieht. Auch wenn er praktisch wäre. Und was nützt uns ein schöner Schuh, der zwar einen guten Zweck erfüllen könnte, wenn er nicht passt? Genau. Nicht viel. Da gibt es nur eins: Es ist Zeit einen Schuh zu suchen, der tatsächlich passt, denn einen Schuh brauchen wir. (Und ich bin inzwischen alt genug um mir einzugestehen, dass das Leben zu kurz ist für einen unbequemen Schuh!)

Ich wollte den Schuh für eine Wanderung gebrauchen, aber es stellte sich heraus, dass der Schuh nur für einen Spaziergang geeignet war. Ich muss dazu sagen, dass ich zu Beginn auch noch nicht wusste, dass aus meinem Spaziergang eine happige Wanderung werden würde. Das kann aber passieren und dafür kann niemand was. Zuerst drückte es nur an einer kleinen Stelle. Das konnte ich relativ lange aushalten, weil der Rest noch stimmte, aber als es steil bergab ging, konnte ich kaum noch laufen. Das war richtig schwierig und mir taten die Füsse so weh, dass mir die Leute, mit denen ich unterwegs war, helfen mussten. Ich bekam einen Wanderstock und so schaffte ich den Abstieg tatsächlich mit Müh und Not. Unten im Tal angekommen, zog ich gleich den Schuh aus und kühlte meine Füsse im kalten Gletschersee. Ich musste den Schuh für den Rest der Wanderung wieder anziehen, aber es war nicht lustig. Ich spürte jeden Schritt und mir war nicht wohl. So oft es möglich war, versuchte ich barfuß zu gehen, aber das geht auf einer Wanderung nicht wirklich. Also musste ich wohl oder übel noch eine Weile in dem Schuh laufen.

Es gibt garantiert Leute, die diesen Schuh super bequem finden und die nicht, wie ich, auf einer Wanderung sind, die einem – und dem Schuh – extrem viel abverlangt. Ich kenne Leute, die haben noch nie so eine Wanderung unternommen, sind noch nie von der Spitze des Berges in dieses tiefe Tal gewandert. Für einen Spaziergang reicht dieser Schuh allemal und das kann ich ohne weiteres stehen lassen. Ich habe mich verändert und der Schuh wurde immer unbequemer. Ich habe eine Stütze von meinem Schuh erwartet, die der Schuh mir nicht geben konnte.

Deshalb habe ich mich entschlossen nach einem neuen Schuh Ausschau zu halten. Sobald ich den finde, werde ich den alten Schuh ausziehen und den Rest der Wanderung im neuen Schuh zurücklegen. Der neue Schuh muss zuerst eingelaufen werden und es wird vielleicht einen Moment dauern, bis er ganz richtig sitzt – darauf bin ich gefasst – aber diese Wanderung hat mich verändert und der alte Schuh passt definitiv nicht mehr.

Ihr merkt, es geht hier nicht wirklich um einen Schuh und auch nicht um eine Wanderung. Aber der Schuh und die Wanderung sind gute Bilder, um zu beschreiben, was in meinem Leben geschieht. Seit 18 Jahren gehöre ich einer christlichen Gemeinde (Kirche) an, aber die Druckstellen, die sich durch verschiedene Situationen – die mit meiner Entwicklung und  meinem Lebensweg zu tun haben – gehen nicht weg und ich muss Entscheidungen treffen. Wenn ich mit diesem drückenden Schuh weiter laufe, werde ich anfangen zu hinken und werde mich – trotz meiner guten Vorsätze – anfangen zu beklagen. Da ich das nicht möchte, bleibt mir nur eins: Mich von dem alten Schuh zu trennen und einen neuen Schuh zu suchen, was nicht viel mit meinem Glauben an sich zu tun hat, wohl aber mit der Form, wie ich meinen Glauben mit anderen leben möchte.