Gott wird (immer wieder) Mensch

Wenn wir auch nur ein Bisschen christlich angehaucht sind, wissen wir, dass Weihnachten mit der Menschwerdung Gottes zu tun hat, nämlich als Jesus auf die Erde kam und eine Weile hier lebte. Das ist aber schon sehr lange her und wir können uns fragen, was das alles heute mit uns zu tun hat. Nun, manchmal erleben wir es tatsächlich, dass  Gott uns auch im Hier und Jetzt als Mensch begegnet. Er ist ja allmächtig und kann demzufolge alles, was für uns besonders dann wichtig wird, wenn wir gerade in Not sind. (Das Volk Israel war damals auch sehr in Not, als Gott beim ersten Weihnachten Mensch wurde.) Der Himmel ist für uns sehr weit weg und wir stecken hier auf der Erde fest. Da muss sich Gott schon mal öfter hinunter bücken – und das tut er auch.

Es war vor ein paar Jahren während einem Seminar für unsere Band. Wir sangen zum Anfang einige Lieder und ich fiel in mich zusammen. Schon während der ganzen Hinfahrt konnte ich die Tränen nicht zurückhalten und jetzt ging es weiter. Ich wollte nicht reden. Ich wollte eine Hand, einen Arm um meine Schultern spüren. Ich wollte physisch spüren, dass ich nicht allein war.

Ganz hinten im Raum, an die Wand gelehnt, sass eine Kollegin aus dem Team. Ich kramte meinen ganzen Mut zusammen, setzte mich neben sie und bat sie ihren Arm um mich zu legen. Das tat sie gerne und hielt mich so lange bis der Trost in meine Seele drang und ihr der Arm fast abfiel: Das ist Reich Gottes. Das ist Gottes Trost in menschlicher Form. Das ist Gott mit uns.

Frohe Weihnachten!

Das mit der Vergebung

…ist so ‚ne Sache. Wir haben ja das Gefühl wir tun dem andern ein Gefallen, wenn wir ihm vergeben und vergessen dabei, dass wir uns damit selbst den grössten Gefallen tun.

Warum geht es uns so? Vergebung gibt man. Es ärgert mich, dass ich jemandem etwas geben soll, der mir Unrecht getan hat. Ich will dem nichts geben. Er soll gefälligst mir was geben. Er soll zugeben, dass er Unrecht hatte, dass er mich schlecht behandelt hat, dass er mich beraubt hat (von meinem Selbstwert, meinem Stolz, meinen Finanzen, … – hier darfst du einsetzen, was du willst). Das sind meine Gefühle. Und ja, das sind echte Gefühle, die wir auch haben dürfen. Wenn wir die nicht hätten, wären wir ja kaum menschliche Wesen. Aber, und hier kommt das grosse Aber, das ist erst der Anfang. Es hört hier nicht auf, es fängt hier erst an.

Wir dürfen und sollen sagen, was nicht Recht war. Wir dürfen und sollen Schmerz und Enttäuschung über erlebtes Unrecht ausdrücken und zulassen. Es hat seinen Platz. Und keinen Unwichtigen. (Die Anerkennung von Unrecht kommt manchmal etwas zu kurz. Wenn ich zum Beispiel etwas erzählt habe, was mir im Zusammenhang mit der Scheidung geschehen ist, habe ich oft zu hören bekommen: „Ja, aber du musst verstehen, seine Kindheit und Prägung und …“ was weiss ich noch. Meinen die, ich wüsste das nicht? Es hätte mir genügt, wenn man das was mir geschehen ist, als Unrecht anerkannt hätte und einfach stehen lässt. Es ist nicht nötig zu vermitteln und Partei zu ergreifen. Man darf zuhören und anerkennen. Punkt. Das genügt wirklich. Man darf noch anfügen, dass es einem Leid tut, dass die Dinge so gelaufen sind. Das wäre auch nett.) Wir kommen nämlich erst weiter, wenn wir dazu stehen, was nicht Recht war, was übrigens genauso für unsere eigene Schuld gilt, wie die des anderen.

An dieser Stelle könnten wir anfangen zu ahnen, dass der andere diese Fehler an uns beging, weil er selber gefangen und nicht frei (und perfekt) ist. Und dann könnten wir auch anfangen zu ahnen, dass wir uns oft gegenüber anderen auch nicht perfekt verhalten. Aber auch wenn wir das alles nicht ahnen, folgen noch weitere Schritte.

Denn dadurch, dass wir dem anderen nicht vergeben, binden wir dem dunklen Schatten dieses Unrechts einen Strick um den Hals und befestigen ihn an unseren Hals. „Das werde ich nie vergessen“, schwören wir uns und dabei schnürt es uns die Kehle zu (und wir kriegen einen heissen Kopf). Ja, dann leb mal schön weiter mit diesem Schatten, den du an dich gekettet hast und der dir auf Schritt und Tritt folgt und dir immer wieder die Kehle zuschnürt.

Ich habe mir irgendwann mal gesagt, dass ich nicht so leben will. Nicht jetzt und nicht in der Zukunft. Ich will frei atmen können. Jetzt und für immer. Da gibt es nur eins: Strick durchschneiden und Schatten loswerden. Das bedeutet, dass ich dem anderen sage: „Ich vergebe dir“. Diese Vergebung hat absolut nichts damit zu tun, dass das Unrecht nicht Unrecht ist, sondern damit, dass ich dem Unrecht keine Macht über mir, meinen Gedanken und schliesslich über mein Leben gebe. Ich lasse es los. Ich trenne mich vom Schatten und von der Vorstellung, dass dieses Unrecht mein Leben definiert. Ich höre auf zu erwarten, dass der andere zur Einsicht kommt und sich für sein Verhalten entschuldigt. Keine Erwartungen mehr. Ich lasse das Unrecht, die Vorstellungen, die Erwartungen und den Menschen los. Das ist Vergebung.

Zum Nachdenken: Wir stellen uns vor, dass der andere darunter leidet, dass wir ihm nicht vergeben habe. Das ist ein Trugschluss. Der andere kümmert sich überhaupt nicht darum. Der lebt sein Leben frisch und fröhlich weiter und du bist diejenige, die leidet. Das ist irgendwie gemein, aber so isses und ich kann es auch nicht ändern. Deshalb: Vergeben und frei atmen!

Nachtrag: Der letzte Artikel über das Vertrauen war hauptsächlich für mich. Und auch dieser Artikel über das Vergeben ist hauptsächlich für mich. Wie ihr merkt, bin ich gerade auf verschiedenen Fronten herausgefordert und wenn ich schreibe, schreibe ich eben oft (eigentlich immer) für mich und ihr dürft dann einfach mitlesen. Ist doch schön, oder?

Über das Vertrauen

Ich denke viel über Vertrauen nach. Was bedeutet Vertrauen? Ist es Vertrauen zu sagen: Das kommt schon gut? Es kommt darauf an, was man mit „gut“ meint.

Mein Vertrauen wurde dieses Jahr sehr herausgefordert. Und vieles ist „gut“ geworden. Jana hat eine Lehrstelle gefunden und in unserer neuen Wohnung fühle ich mich immer noch fast wie in einem Schloss (es zieht nicht durch die Fenster und Türen, der Kühlschrank bildet keine Pfützen und die Zimmer sind gross – ausser das Wohnzimmer, aber damit kann ich leben). Aber das Leben geht weiter und es kommen immer neue Herausforderungen auf uns zu. In letzter Zeit wird unser aller Vertrauen durch die gewaltsamen Geschehnisse in nahen und fernen Ländern arg gefordert.

Es gibt da eine Geschichte über das Vertrauen. Drei Männer wurden vor einen König geschleppt. Sie hätten sich vor einer Statue verbeugen und diese anbeten sollen. Nur ging das total konträr zu ihrem Glauben und ihrer tiefsten Überzeugung. Sie waren bereit die Konsequenzen zu tragen. Und vertrauten ihrem Gott. (Die Konsequenz war übrigens kein Pappenstiel: Ihnen drohte in einen Feuerofen geworfen zu werden und bei lebendigen Leibe zu verbrennen.) Wir denken gleich, ja ja, sie vertrauten Gott, dass er sie aus dieser Klemme herausretten würde, aber hört, was sie dem König sagten:

„Wenn der Gott, den wir verehren (also vertrauen), es will, kann er uns ganz bestimmt retten. Sowohl aus dem brennenden Feuerofen als auch aus deiner Hand, o König, wird er uns dann retten. Aber selbst wenn er es anders beschlossen hat, sollst du, o König, es mit Sicherheit wissen: Wir werden deine Götter niemals verehren und die goldene Statue, die du hast aufstellen lassen, niemals anbeten.“* Wow. Was für ein Vertrauen. Und nicht gerade das, was wir spontan unter Vertrauen verstehen. Vor allem der Satz, der mit „Aber selbst…“ beginnt.

Es scheint beim Vertrauen nicht darum zu gehen, dass man darauf hofft und sich sicher ist, dass alles wieder gut kommt. Auch wenn das hier in der Schweiz ein beliebter Spruch ist: S’chunnt scho guet. Also das wird schon wieder. Oder die fromme Variante: Bei Gott ist alles möglich. Ganz ehrlich, bei mir ist schon einiges nicht gut gekommen und auch nicht wieder geworden. Und obwohl Gott alles kann und ihm alles möglich ist und ich ihm vertraut habe, ist mein erster Mann an Aids gestorben und von meinem zweiten Mann wurde ich geschieden. Was ist denn da gut gekommen? Und was hat Gott jetzt genau dazu beigetragen?

Aber Gott will doch Ehen retten und wiederherstellen! Ja, das glaube ich auch, aber er wird nicht über das Herz des Einzelnen hinweggehen und jemandem die von aussen am einfachsten aussehende (oder christlich-korrekte und angesehenste) Lösung überstülpen. Es geht Gott immer darum Leben zu retten und zu erhalten. Das kann er manchmal besser, wenn eine Ehe auseinander geht. Ich weiss, das passt nicht in unser Denken, weil die Ehe im christlichen Kontext praktisch unantastbar geworden ist. Aber vor Gott ist das nicht so. Er hat den Menschen zuerst geschaffen und danach die Ehe, dass sie dem Menschen dienen soll, nicht umgekehrt.

Oft wird unser Glaube oder Vertrauen davon gesteuert, was wir wollen. Und was wir wollen ist oft das, was uns gut dastehen lässt oder das, wovon wir unser Lebensglück abhängig machen. Wir sind dann überzeugt, dass Gott das auch will. (Es steht doch so in der Bibel, also muss er es wollen.) Aber er schaut tiefer. (Das steht auch in der Bibel.) Er schaut unser Herz an. Vielleicht hat sich ein Partner dermassen in einen Lebensstil (und damit meine ich nicht nur einen äusserlichen Lebensstil, sondern auch die innere Art, das Leben und Beziehungen zu leben) verrannt, dass Gott es zulässt, dass eine Ehe kaputt geht, um dieses Herz durch einen Zerbruch zu erreichen. Gott würde ich das zutrauen. Ihm ist mein Herz tatsächlich wichtiger als meine Ehe! Er ist nämlich anders als wir. Weiter. Grösser. Liebevoller. Konsequenter. Er hat den Überblick, den wir nicht haben. Er sieht Wege, wo wir nur Wüste sehen und verspricht, dass er immer für uns ist und uns nie alleine lässt…darin liegt unser Vertrauen.

 

*Diese spannende Geschichte kann man in der Bibel, im Buch Daniel Kapitel 3, Verse 16-18 nachlesen. (Man kann sie auch googeln, falls man keine Bibel zur Hand hat.)