Sonntagmorgenradio

Ich bin keine regelmässige Radiohörerin. Ich weiss gar nicht wann ich Radio hören soll und weil ich Zuhause arbeite, kommt es mir Zuhause auch nicht in den Sinn. Seit einigen Jahren höre ich also im Auto Radio und nutze vor allem die Fahrten für und mit den Kindern, um mich über die neusten Hits und Nachrichten zu informieren – auch am Sonntagmorgen auf dem Weg in den Gottesdienst, obwohl ich normalerweise die Ruhe als Vorbereitung auf den Gottesdienst schätze. Aber als ich wieder einmal am Sonntagmorgen mit dem Auto unterwegs war, liefen im Radio ein paar Lieder, die mich zu meiner grossen Überraschung total auf den Gottesdienst eingestimmt haben:

  1. Leider weiss ich nicht mehr wie das erste Lied hiess, aber es ging um Ferien. Wenn ich an die grossen Sommerferien denke, denke ich an den Himmel. Der englische Autor C.S. Lewis (die Narnia-Bücher sind von ihm) hat das Leben mit einem Schulsemester verglichen. Am Anfang des Semesters liegt noch so viel Arbeit vor einem. Tage, Wochen, Monate von neuem Stoff, von Lerneinheiten, von Prüfungen. Mitten im Semester haben wir schon einiges gelernt, aber es wird uns auch bewusst, wie viele Kapitel noch vor uns liegen und dann gibt es noch die Prüfungen und Tests. Auf manche können wir uns vorbereiten, andere treffen uns unvorbereitet. (So ist doch das Leben, nicht?) Aber nach dem Leben auf der Erde kommt das Leben in der Ewigkeit. Im Himmel fangen die Ferien an, die langen Sommerferien, sozusagen, die vor einem liegen, als würden sie eine Ewigkeit dauern (was auf die Ewigkeit im Himmel dann tatsächlich zutrifft!) Das sind doch tolle Aussichten. Es ist die Hoffnung auf diese Zeit in der man sich nicht mehr mit dem Alltäglichen, mit dem Schweren, mit den Prüfungen, mit den Enttäuschungen, mit Ungerechtigkeiten und Schmerzen rumschlagen muss. Der Himmel ist eine wunderbare Hoffnung.
  2. Cold Play: The Scientist: „take me back to the start“. Ich möchte immer wieder an den Anfang zurück. Und der Anfang ist die Liebe. Die Liebe zieht uns an und lässt uns nicht mehr los. Die Liebe ist die Kraft, die uns durch trägt. Die Liebe ist die Hoffnung auf den Himmel, aber noch mehr: Im Jetzt ist es die Hoffnung auf ein sinnerfülltes Leben (während des Schulsemesters, welches wir alle absitzen müssen).
  3. Adam Lambert: „Whataya Want from Me“. Das ist ja die grosse Frage. Was willst du von mir? Das fragen wir einander und das frage ich manchmal auch Gott. Und Gott fragt mich das auch. Und dann muss ich durch die Oberflächlichkeiten sieben um an das wirklich Wichtige zu kommen. Das kann einen Moment dauern. Aber es lohnt sich darüber nachzudenken.
  4. MoTrip: So wie du bist: „bleib so wie du bist“: Ob du so bleiben musst/darfst/sollst, wie du bist, kann ich nicht beurteilen. Was ich aber ganz sicher weiss, ist dass du so geliebt bist, wie du bist. Du bist angenommen, so wie du bist. Es gibt diesen Vater Gott tatsächlich, der dich ganz und völlig annimmt, so wie du bist.

Die Krippe

(Wir schreiben das Jahr 2009. Meine Kinder sind 10, 8 und 5.)

Die Kinder haben die Krippe aufgestellt.

Alle Figuren stehen im Kreis um das Jesuskind im Futtertrog.

Maria, Josef, die Könige, die Hirten, ja, sogar die Schafe stehen in diesem Kreis – alle sind ausnahmslos auf Jesus ausgerichtet.

Ich habe mir überlegt die Figuren neu aufzustellen: Maria und Josef ganz nah bei Jesus, die Könige etwas weiter weg, die Hirten von der anderen Seite herkommend, ein paar Schafe hier und da verstreut…

Doch ich entscheide mich die Figuren genau so zu lassen, wie die Kinder sie hingestellt haben. Es wird mich daran erinnern, dass ich so leben will, dass ich ganz auf Jesus ausgerichtet sein möchte, nicht abgelenkt, nicht äusserlich schön für’s Auge, nicht „so wie man es macht“, nicht nach anderen Massstäben als allein seine unendliche Liebe und Gnade, die uns in diesem kleinen Baby so nahe gekommen ist.

Frühstück am See

Karfreitag und Ostersonntag sind vorbei, aber es ist noch nicht Auffahrt und genau in diese Zeit fällt die Geschichte vom Frühstück am See. Wie ihr vielleicht noch wisst, hatte Petrus Jesus drei Mal vor dessen Tod verleugnet. Als die aufregenden Tage der Kreuzigung und Auferstehung vorbei waren, ging Petrus wieder fischen – was hätte er denn sonst tun sollen? Nach einer erfolglosen Nacht auf der See – kein einziger Fisch war ins Netz gegangen – ruft Jesus ihm vom Ufer zu, er solle das Netz auf die andere Seite rauswerfen, worauf das Boot an der Unmenge von Fisch zu sinken droht. Petrus und seine Fischerfreunde schaffen es mit dem schweren Fang knapp an Land, wo Jesus mit einem Frühstück auf sie wartet.

Wenn ich diese Geschichte lese, springt mich förmlich die Andersartigkeit Gottes an. Es ist ja wohl klar, dass Petrus sich daneben benommen hat. Wir können es ja sogar verstehen; die Soldaten, die religiöse Führung, die tobende Menge, wer hätte sich da schon freiwillig als Jünger Jesu geoutet. Es war lebensgefährlich und das ist nicht übertrieben.

Als alles vorbei war und nachdem sich der Staub gelegt hatte, hätte ich jedoch Petrus zuerst einmal wissen lassen, wie enttäuscht ich von ihm bin. Und ich hätte ihm sicher nicht Frühstück gemacht. Ich meine, nur schon wenn mich meine Kinder aufregen, weil sie nicht so spuren wie ich will, bin ich versucht zu sagen: Du kriegst nichts zu essen. Und manchmal sage ich es sogar, aber meistens leise, weil ich genau weiss, dass es eine blöde Idee ist, und wenn sie nachfragen, was ich da in meinen Bart murmle, schaffe ich es gerade noch mir auf die Zunge zu beissen und „ist nicht wichtig…“ zu antworten.

Ich stelle wieder einmal fest: Gott ist anders. Das habe ich übrigens auf die „Jesus ist…“-Plakate geschrieben: Jesus ist…anders. Er ist so anders als ich, als wir. Er ist anders als meine Vorstellung davon, wie sich ein Gott zu benehmen hat. In meiner Vorstellung hätte er Petrus nämlich zuerst zurechtweisen müssen. Und dann hätte es noch Konsequenzen gegeben. Vielleicht hätte Petrus ein Wiederherstellungsprogramm durchlaufen müssen. Man muss schliesslich alles daran setzen, dass der Mann beim nächsten Mal standhafter bleibt und nicht so schnell die Verbindung zum Chef und der Firma abstreitet.

Aber Jesus ist eben anders. Egal, ob ich alles richtig mache oder nicht; Jesus macht mir Frühstück. Er möchte mir was zu essen geben, möchte, dass ich satt und gestärkt werde, er möchte, dass es mir gut geht. Zu so einem Gott gehöre ich gern.

Flüchtlinge und Ausländer und was sie mit mir zu tun haben

Die ganze Thematik der Flüchtlinge und Ausländer, sei es wegen der Flüchtlingswelle oder der Durchsetzungsinitiative (worüber wir in der Schweiz dieses Wochenende abstimmen), berührt mich und nicht erst seit gestern – eigentlich schon mein ganzes Leben.

Ich muss mein Gedankenfeld von Hinten aufrollen. Ich bin in Amerika geboren, bis 14 (fast 15) in Südamerika aufgewachsen und lebe seit über 35 Jahren (mit kurzen Unterbrüchen) in der Schweiz. Weil ich vor vielen, vielen Jahren (es sind dieses Jahr 27 Jahre her!) einen Schweizer geheiratet habe, habe ich den Schweizer Pass (das war damals noch so). Aber was genau bin ich? Auf dem Papier ist es klar, aber als was fühle ich mich? Als Amerikanerin? Chilenin? Schweizerin? Ach ja, ich spreche Hochdeutsch und auf Anhieb denken die Schweizer, dass ich Deutsche bin, dabei habe ich nie in Deutschland gelebt. Ehrlich gesagt fühle ich mich weder als Nord- oder Südamerikanerin, auch nicht als Schweizerin oder Deutsche. Ich kann mit dem ganzen patriotischen Getue nicht viel anfangen. Ich liebe vieles aus den Ländern in denen ich gelebt habe und fühle mich mit diesen Ländern verbunden, aber als was ich mich fühle, kann ich beim besten Willen nicht sagen, weil ich das Gefühl habe überall Ausländerin zu sein.

Ich kann sogar noch weiter zurückgreifen als nur die 50 Jahre meines Lebens. In meinem Stammbaum kommen väterlicherseits die Salzburger Protestanten (Vertriebene) vor. Meine Vorfahren mütterlicherseits wanderte aus Deutschland nach Ungarn aus und meine Mutter wurde als Kleinkind mit meiner Oma und ihren Geschwistern im Zuge einer ethnischen Säuberung nach dem zweiten Weltkrieg in Viehwagen zurück nach Deutschland verfrachtet (Ausgewiesene). Meine andere Oma ist mit meinem Vater und seinen Geschwistern aus Ostpreussen vor den Russen geflohen (Kriegsflüchtlinge). Meine Grosseltern (väterlich- und mütterlicherseits) sind mit ihren Kindern in die USA ausgewandert um sich eine neue Existenz aufzubauen (Wirtschaftsflüchtlinge). Sie hätten auch in Deutschland bleiben können, aber es war nach Kriegsende dort grad nicht so toll.

Wenn Deutschland und später die USA meine Grosseltern nicht aufgenommen hätten, wenn es keine Menschen gegeben hätte, die das Wenige, das sie hatten nicht mit ihnen geteilt hätten … vielleicht gäbe es mich gar nicht. Und auch all die anderen tollen Leute nicht, die aus diesen Familien stammen (darunter Sänger, Politiker, Missionare, Musiker, Pastoren, Ärzte, Künstler, Lehrer, Übersetzer, Fotografen, Grafiker, Professoren u.v.m).

Die Diskussion über Flüchtlinge und Ausländer ist geprägt von der Sorge um unsere Sicherheit, unserem Wohlstand, von Patriotismus … und von ganz viel Angst. Die Angst versteckt sich gekonnt hinter schlauen Argumenten, hinter Statistiken und der Vernunft. Angst führt aber dazu, dass meine Sicherheit wichtiger ist als deine Sicherheit, dass mein Komfort plötzlich schwerer wiegt als deiner und meine Rechte höher zu bewerten sind als deine. Merkt ihr auch, das da sehr viel Ich ist und sehr wenig Du? Wertschätzung, Nächstenliebe und Gastfreundschaft sind an Bedingungen geknüpft und werden nur noch dann gelebt, wenn mein Lebensstandard, meine Sicherheit, mein Wohnbefinden nicht gefährdet sind. Es lohnt sich darüber nachzudenken, ob wir so leben wollen.

Es geht um mehr als um Flüchtlinge und Ausländer. Eigentlich geht es um uns und wie wir leben wollen. Liebe ist immer ein Risiko und manchmal richtig anstrengend.

Liebe an der Langstrasse

Kürzlich war ich an der Langstrasse und war zutiefst berührt. Was mich berührte, war jedoch nicht die Langstrasse – das Milieu – in Zürich, es waren die Menschen. Und Menschen hat es dort jede Menge – in allen Farben und Formen und von jeder Sorte.

Ich besuchte die „Kunst im Milieu“-Bilderaustellung von Dorothée Widmer in den Räumlichkeiten von Heartwings (www.heartwings.ch) und habe auch ihren Mann, Peter, kennengelernt. Ich hatte ihn an einer Geburtstagparty-Hochzeit (eine wunderbare Geschichte für sich) reden hören und wusste, ich will (muss) diese Bilderausstellung besuchen.

Ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil, immer wenn ich daran denke oder davon erzähle, was ich dort gesehen und gehört habe, bekomme ich feuchte Augen. Was hat mich dort so berührt? Nein, es war nicht der Schrecken und die Gesetzlosigkeit von Menschenhandel. Es war nicht die Gefangenschaft und Hoffnungslosigkeit von Frauen, die gegen ihren Willen oder schlicht zum Überleben anschaffen müssen. Es war nicht die Verloren- und Zerbrochenheit der Freier und Zuhälter und auch nicht die ausdrucksstarken Bilder von Dorothée oder die Geschichten von Menschen, die Dorothée und Peter begleiten – obwohl das auch alles seine Berechtigung hätte und mich, ehrlich gesagt, auch berührt hat.

Was mich noch tiefer als das Elend berührte, war die grosse Freude und tiefe Liebe von Dorothée und Peter. Zu einander, ja, zu Gott auch, aber auch in einem gewaltigem Mass zur Langstrasse und damit meine ich nicht nur den Ort. Sie haben eine tiefe Überzeugung, dass Gott gross genug, es ihm wichtig genug und jeder einzelne Mensch dort wertvoll genug ist, um an der Langstrasse zu erscheinen und die Menschen dort in ein freies Leben zu führen. Diese Überzeugung durchdringt jede Pore ihres Seins und strömt förmlich aus ihnen heraus. Diese Liebe ist so echt und so authentisch, dass man sich ihr nur schwer widersetzen kann, was jede und jeder merkt, der mit Dorothée und Peter und ihren Heartwings-Mitarbeitern in Berührung kommt. Menschen an der Langstrasse werden geliebt, wie sie sind; weil Gott die Welt liebt, wie sie ist. Die Welt musste sich nicht zuerst ändern und anpassen oder fromm und schicklich werden, bevor Gott seine Liebe in einen zerbrechlichen und endlichen Körper mit Herz, Haut und Haar packte und auf diese Erde schickte.

Da war nämlich mal einer, der setzte sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch.

Da war mal einer, der verurteilte die Ehebrecherin nicht.

Da war einer, der vergab sogar einem Verbrecher.

Er liebt immer noch. Echt und authentisch. Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Mit Gefühlen. Mit Geschichten und konkreter Hilfe.

Was ich an der Langstrasse gesehen habe, ist ein Ausdruck dieser Liebe, wie ich sie nur an wenigen Orten sonst entdeckt habe. Diese Liebe leuchtet den Weg in die Freiheit. Sie befreit. Sie heilt. Sie gibt alles – genauso wie es ein besonderer Mann aus dem Nahen Osten damals tat. Ist das vielleicht Grund genug auch so zu lieben?

Was wir brauchen

Kristina hat vor etwa einem Jahr (oder zwei, die Zeit vergeht ja so schnell) beim Gute Nacht sagen etwas Herziges gesagt. Sie hatte Angst, dass die Blattläuse von draussen sich zu den Kopfläusen auf ihrem Kopf gesellen. (Fragt nicht, wie oft sie schon Kopfläuse hatte…) Ich erklärte, dass die Blattläuse zum Leben Blätter brauchen, die Kopfläuse Köpfe und so. Daraufhin meinte sie: „Wir brauchen zum Leben Liebe und Gesellschaft und Essen und Trinken“. Ich fand die Luft zum Atmen auch noch wichtig. Aber ich fragte sie, ob sie das irgendwo gehört hatte, dass wir all das brauchen. Nein, der Gedanke sei in ihrem Kopf entstanden. Als ich fragte, ob sie genug Liebe bekomme, sagte sie: „Zuhause schon, aber in der Schule nicht.“ Ich erklärte, dass die Schule nicht für die Liebe zuständig sei, sondern für die Ausbildung. Sie fand, dass Liebe in der Schule nicht fehlen dürfe – und eigentlich hat sie Recht.