Wenn ich nicht mehr nett mit Gott rede

Ich taumelte völlig schlaftrunken aus dem Bett und machte mich zum x-ten Mal auf den Weg zu meinem weinenden Kind. Das ging seit einigen Tagen, oder besser gesagt, Nächten schön so und ich war, milde gesagt, über die Massen erschöpft und enttäuscht über die gefühlten 798 unerhörten Gebete. Das Mass war deutlich erreicht und ich wurde richtig wütend auf Gott: „Jetzt mach doch endlich was! Ich bin zu müde und mag nicht mehr!“ (In einem sehr unfreundlichen Ton.) Das Kind wurde ruhig und wir schliefen die restliche Nacht ohne Unterbrechung.

Ähnlich wütend wurde ich als wir eine neue Wohnung suchten und uns unsere Wunschwohnung (und einzige überhaupt) vor der Nase weggeschnappt wurde. „Gott, willst du dich blamieren? Bitte schön!“ Ein paar Wochen später hatten wir die Zusage für eine Wohnung, die uns noch besser gefiel.

Es gibt eine allgemeine Vorstellung wie ein „guter Christ“ auszusehen, zu beten und sich zu benehmen hat, aber ich frage mich immer öfter, ob diese Vorstellungen überhaupt richtig sind. Einmal fragte mich mein Sohn, ob es richtig sei beim Beten die Hände geschlossen zu falten oder ob man die Hände gerade aufeinander legen sollte. Er wollte es nicht falsch machen, dabei gibt es hier kein Richtig oder Falsch. Hauptsache du redest mit Gott. Wie und ob du die Hände faltest, ist Gott schnuppe!

Auf jeden Fall ist mir aufgefallen, dass Gott auf meine gehässigen Worte sehr klar und deutlich und im richtigen Moment geantwortet hat. Er hat die Lösung geschickt und geholfen. Wut ist sicher keine Voraussetzung für eine Gebetserhörung, aber sie ist auch kein Hindernis. (Was ich über die Kommunikation zwischen meinen Kindern und mir nicht sagen kann.)

Gott scheint die Ehrlichkeit zu mögen, die alles Fromme wegreisst und uns so erscheinen lässt wie wir sind. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir doch auch lieber ein ehrliches Gegenüber als jemand, der uns was vorheuchelt. Das ist ja das kostbare an Freunden: Wir können sein, wie wir sind und wissen uns doch geliebt und angenommen. Wer will schon etwas vorgespielt bekommen? Also, ich nicht. Und Gott scheinbar auch nicht!

Vorbildfunktion

Es kommt vor, dass ich denke, ich habe genug über dieses leidige Thema geschrieben. Soll ich wirklich wieder etwas über Trennung/Scheidung schreiben? Heute sprach mich jemand an und dankte mir für meine Blogartikel über Trennung/Scheidung, da sie für ihren Umgang mit den Menschen, die von diesen Situationen betroffen sind daraus lernt. Also trete ich mutig die Flucht nach vorne an und veröffentliche diesen Artikel, der schon länger bei mir schlummert.

„Ich hoffe, dass die beiden wieder zusammen kommen. Nur schon wegen der Vorbildfunktion.“ Dieser Satz eines Bekannten über ein getrenntes Ehepaar geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und innerlich wehre ich mich dagegen, denn was ist wichtiger: die Vorbildfunktion oder die beiden Personen, die von der Trennung betroffenen sind? Oder anders gesagt: Geht es darum Ehen zu retten oder Menschen zu retten? (Ja, so kann man das auch formulieren und dabei möchte ich auf keinen Fall die Ehe abwerten, aber auch nicht über den Menschen stellen.)

Kürzlich dachte zurück an die Zeit in der ich mich für oder gegen meine Ehe entscheiden musste. Was war das schwierig! Es war keine Entscheidung zwischen gut und schlecht, sondern zwischen schlecht und schlechter. Ich musste herausfinden, welche Variante mir überhaupt Luft zum Atmen gab.

Und dann diese Erwartung noch ein Vorbild sein zu müssen. Das kann einem die restliche Luft grad auch noch nehmen.

Was erwarten wir von einem Vorbild? Dass wir uns verhalten, wie es der christliche Verhaltenskodex vorschreibt? Dass der (christliche) Schein gewahrt wird? Dass wir, die Aussenstehenden, nicht enttäuscht werden? Wenn dem so ist, befinden sich unsere Erwartungen an Vorbildern ganz weit weg von dem, was uns die Bibel erzählt. Dort finden wir Geschichte um Geschichte von Menschen, die sich Sachen geleistet haben, die man in der Gegenwart von Minderjährigen gar nicht laut aussprechen will. Interessanterweise stehen diese Menschen bei Gott recht hoch im Kurs (horch, horch), also diejenigen, die ehrlich zu ihrem Versagen gestanden sind. Und, wenn ich das noch anfügen darf: von Gott gebraucht werden alle, ob sie nun zu ihrem Scheitern stehen oder nicht. Der ehrliche Umgang mit Scheitern und daher auch das Scheitern selbst scheinen bei Gott keine grossen Wellen zu schlagen. Unser Richten und Urteilen, das Polieren vom äusseren Schein, das Heucheln ist eine ganz andere Sache. Das kommt bei Gott gar nicht gut an. (Das kann man alles nachlesen.*) Gott schaut also auf das Herz. Wer von uns kann das von sich behaupten?

Wir könnten eine gescheiterte Ehe auch als ein ehrliches Zugeständnis sehen.

Wir könnten den Kampf einer Person würdigen, die bereit ist zuzugeben: Meine Ehe ist krank, ich gehe in dieser Beziehung kaputt (und das zuzugeben, braucht viel Mut und Kraft).

Wir könnten die Stimme hören, die sagt: Ich will euch nicht länger etwas vorspielen, ich stehe dazu, dass meine Ehe nicht mehr lebbar ist.

Wir könnten selber bereit sein ehrlich zuzugeben, dass wir nicht wirklich wissen, was ein getrenntes Paar alles durchgemacht hat, weil wir noch nie in ihren Mokassins gelaufen sind.

Wir könnten darin ein Vorbild sehen, dass mit Gott ein Neuanfang gewagt wird.

Wir könnten uns dazu entscheiden, diesem Vorbild zu folgen und mehr auf unser Sein zu achten als auf unseren Schein. Darum geht es doch letztlich, oder?

 

*In der Bibel, z.B. in der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner (Lukas 18)

Lebe ich ehrlich oder angstgesteuert?

Nach dem schrecklichen Attentat in den USA, in welchem 9 Mensch ihr Leben – in einer Kirche – genommen wurde, laufen die Emotionen hoch und der Rassenkonflikt wird wieder diskutiert. Ich verfolge diese Diskussionen, die Inputs, die Fragen, das Ringen und etwas springt mir immer wieder ins Auge. Wenn wir mit heiklen Situationen konfrontiert werden, Situationen, die ein Tabu berühren oder ein heikles Thema ansprechen, will sich keiner die Finger verbrennen. Eigentlich wollen wir etwas sagen oder tun, aber weil wir nicht das Falsche sagen wollen, schweigen wir.

Das kommt mir sehr bekannt vor. Im Umgang mit Getrennten/Geschiedenen schwingt oft ein gewisses Mass an Angst mit. Und zwar genau deswegen, weil man nichts falsch machen will. Das ist auch verständlich – wir werden mit einem Zustand konfrontiert, der uns fremd ist und mit welchem wir uns nicht auskennen. Ich verstehe nicht, was Menschen empfinden, die in Lebensumständen sind, die ich nicht kenne. Das ist schwierig. Wie und wo fängt man da nur an, ohne jemanden auf die Füsse zu treten?

Wenn wir uns mit Schweigen zufrieden geben, gibt es ein Problem: Niemandem wird dadurch geholfen. Ist es wirklich das, was wir wollen? Wollen wir wirklich weiterhin schweigen und blind an unseren Auffassungen und festgebildeten und festgefahrenen Meinungen festhalten und in dieser Starre verharren, bis wir oder die anderen … nun, bis wann eigentlich? Wie stellen wir uns das vor? Vermutlich haben wir uns gar nichts vorgestellt. Was auch nicht hilft. Leider.

Diese Fragen lassen sich auf ganz viele Situationen anwenden: Wie begegne ich Menschen, die anders sind, vielleicht mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung leben? Wie gehe ich mit Ausländern/Asylanten um? Wie reagiere ich, wenn Menschen unter Unrecht leiden? Wenn ihre Stimme nicht gehört wird? Wenn eine Scheidung oder Armut zur Ausgrenzung führt?

Mehr als eine Stimme, die sich in den USA erhob, sagte (und das ist mir eingefahren): „Wir müssen keine Angst haben, wir müssen nur EHRLICH sein, Zuhören und Reden.“ Es ist mir eingefahren, weil es sich nicht nur auf den Rassenkonflikt in den USA anwenden lässt, sondern auf unser tägliches Leben.

  • Angst führt zu Beklemmung. Ehrlichkeit lässt mich aufatmen.
  • Angst macht mich misstrauisch. Ehrlichkeit trägt zur Vertrauensbildung bei.
  • Angst führt zu Heuchelei. Ehrlichkeit erlaubt mir mich selbst zu sein.
  • Angst versteckt. Ehrlichkeit deckt auf.
  • Angst verunsichert. Ehrlichkeit zeigt mir woran ich bin.
  • Angst versteckt sich hinter verriegelter Tür. Ehrlichkeit öffnet die Tür für Neues.
  • Angst macht mich einsam. Ehrlichkeit gibt anderen die Möglichkeit mich zu begleiten.
  • Angst sagt: Wir haben kein Problem. Ehrlichkeit sagt: Es gibt ein Problem, wie können wir daran arbeiten?
  • Angst schweigt (und geht kein Risiko ein). Ehrlichkeit fragt nach, hört zu und redet (auch mit dem Risiko, dass sie das Falsche sagt).
  • Angst bringt mich zum Zittern. Ehrlichkeit lässt mich tanzen.

Ehrlichkeit scheint ein guter Lebensstil zu sein, braucht aber Mut. Ich wünsche dir und mir Mut zur Ehrlichkeit. Ehrlichkeit ist eine Entscheidung wert.

Vitiligo

Ich habe Vitiligo. Vitiligo ist ein Hautleiden. Ich muss an dieser Stelle gleich anmerken, dass ich nicht wirklich darunter leide, zumindest nicht physisch. Typisch für Vitiligo sind Pigmentstörungen in Form weißer, pigmentfreier Hautflecken, die sich ausweiten können, aber nicht unbedingt müssen. (Alles Weitere könnt ihr googeln.)

Als ich drei Jahre alt war, entdeckten meine Eltern den ersten weissen Fleck an meinem Bauch. Die Flecken sind über die Jahre gekommen, gegangen, dann immer mehr und grösser geworden und jetzt im Sommer, wo sich die gesunde Haut bräunt, fallen die weissen Flecken richtig gut auf.

Ich komme zurück auf das Leiden. Ich sagte, mein Leiden sei nicht physisch. Und doch ist es nicht ganz ohne eine so sichtbar auffallende Hautkrankheit zu haben. Als Teenager habe ich mich für meine weissen Knie geschämt. Und als ich mich endlich mit etwa 30 an die Flecken an meinem Körper gewöhnt hatte, wurden die Flecken in meinem Gesicht immer grösser und mehr. Das steckt eine Frau (und wohl auch mancher Mann) nicht einfach so weg. Auch nicht wenn alle sagen, es sei ja nur äusserlich und meine Familie und engsten Freunde mir bestätigen, dass sie es schon gar nicht mehr wahrnehmen.

Ich war sehr erleichtert, als ich vor einigen Jahren stark deckendes Camouflage Make-Up kennengelernte, welches viel besser abdeckt und haftet als normales Make-Up. Seither schminke ich mich jeden Tag und bekomme von Leuten, die nicht wissen, dass ich im Gesicht Flecken habe, zu hören: „Zum Glück hast du keine Flecken im Gesicht!“, worauf ich sie dann meistens aufkläre und sie mein Gesicht ungläubig mustern.

Ich denke oft, dass es uns im Umgang miteinander nicht viel anders geht. Wir gehen davon aus, dass es unseren Mitmenschen so gut geht, wie sie aussehen. Aber vielleicht ist es nur die Schminke, die gut aussieht. Vielleicht versteckt sich unter der Schminke ein weisser Fleck, ein Leiden, eine kranke Ehe, die Sorge um ein problematisches Kind, eine scheidungsbedingte Armut, ein Versagen, eine Sucht, eine Verzweiflung (die Liste lässt sich endlos weiterführen). Aber wir lassen uns von der Schminke blenden und überdecken unsere eignen weissen Flecken selber auch tüchtig mit Schminke.

Dieses „Sich-etwas-vorspielen“ führt zu zwei negativen Auswüchsen. Erstens, leben wir nicht authentisch und zweitens, rauben wir allen anderen die Möglichkeit uns dort zu begegnen, wo eine Beziehung echt wird. Das heisst, keiner, weder wir noch die anderen, können das leben, wozu wir bestimmt sind und wonach wir uns sehnen, nämlich Gemeinschaft.

Dabei machen uns unsere Fehler, unsere Schwächen und Grenzen gerade menschlich und nahbar. Was mich an anderen Menschen anzieht, ist nicht ihr Superhelden-Gehabe, ihr perfektes „Ich-hab’s-ja-so-im-Griff“-Leben oder ihr geistliches Übertünchen aller zerbrochenen Menschlichkeit. Ich werde vielmehr von dem angezogen, womit ich mich identifizieren kann, also ihren Schwächen, ihren Fehler und ihren Grenzen, gerade weil ich meine Schwächen, Fehler und Grenzen kenne. Da kann ich mitreden. Ich werde mich nicht mit deinem perfekten Familienleben identifizieren können. Da wird zwischen uns nichts entstehen. Aber wenn ich höre, wie es wirklich mit deinem Teenager läuft und wie du dich dabei fühlst, werden wir beide zusammen darüber lachen (oder weinen) können und ich werde merken, dass ich nicht allein bin. Das tut meiner Seele gut.

Vor ein paar Jahren traf ich ein etwa 6-jähriges Mädchen, deren ganzer Körper so stark von Vitiligo betroffen war, dass es aussah, als habe sie dunkle Flecken, statt weisse. Plötzlich merkte sie, dass ich auch weisse Flecken hatte und schloss mich sofort in ihr Herz. Wo sie mich vorher kaum beachtet hatte, schwirrte sie nun um mich her, erzählte von ihrem Bruder, zeigte mir Fotos und war ganz einfach daran interessiert ihr Leben mit mir zu teilen. Ohne viele Worte darüber zu machen, wusste das kleine Mädchen, dass ich sie verstand. Zum ersten Mal war ich froh um meine Flecken. Meine Flecken gehören zu mir, wie meine Erfolge und Misserfolge. Sie haben mich und meine Geschichte geprägt und mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Sie haben mir sogar die Türen zu einem anderen Herzen geöffnet. Wenn das nicht was wert ist!